Lohfert-Preis
Begründer und Initiator des Blauen Punktes ist Prof. Dr. Rolf Diehl, Neuropsychologe, Leiter des klinischen Studienzentrums und u.a. Vorsitzender des Klinischen Ethikkomitees am Alfried Krupp Krankenhaus Rüttenscheid. Die Fachkrankenschwester Susanne Johannes ist Demenzexpertin am Standort Rüttenscheid, ihr Kollege, der Fachkrankenpfleger Jens Klöckener ist für die Pflege- und Demenzberatung am Standort Steele verantwortlich und u.a. Vorsitzender des Klinischen Ethikkomitees am Alfried Krupp Krankenhaus Steele. Wir sprechen per Videokonferenz miteinander.
Das Projekt „Blauer Punkt“ systematisierte und strukturierte als eines der ersten die Bemühungen um demenziell erkrankte Menschen während ihres Aufenthalts im Krankenhaus und am Übergang in die ambulante Behandlung. Ein Krankenhausaufenthalt bedeutet für den kranken Menschen auch immer Stress: die ungewohnte Umgebung, fremde Menschen und unbekannte Abläufe verunsichern alle Menschen erst einmal.
Demenzerkrankte leiden hier besonders, zumal sie kognitiv nicht mehr in der Lage sind, sich die Situation rational zu erklären. Tatsächlich steigt schon allein durch diesen Stress – neben anderen Faktoren - das Risiko, im Krankenhaus ein Delir zu erleiden. Das wiederum verschlechtert oftmals die Demenz, führt zu weiteren Komplikationen, längeren Liegezeiten mit einem längeren Genesungsprozess.
Mit dem Demenzmanagementkonzept „Blauer Punkt“ wurde ein Demenz-Screening für alle Patienten über 70 Jahren eingeführt, es gibt ein qualitätsgesichertes perioperatives Verfahren zur Delir-Prävention sowie Schulungen zum Umgang und insbesondere zur Kommunikation mit demenziell Erkrankten - für das Personal und die Angehörigen. Für letztere gibt es zudem besondere Beratungsangebote, und die betroffenen Patient:innen erhalten, sofern möglich, verschiedene Therapien.
Abseits der Aufnahme für dieses Podcast-Interview reden wir über die Auswirkungen von Corona – alle Beschäftigten sind sehr erschöpft. Sorge bereiten zudem die vielen alleinstehenden älteren und kranken Patient:innen, denen durch Corona das nachbarschaftliche Hilfsnetz weggebrochen ist. Die zum Teil in messiehaften Zuständen leben, ohne Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, ohne Zugang zur ambulanten Versorgung, übrigens auch nicht zur Impfung. Wenn diese Patient:innen als Notfall ins Krankenhaus kommen, sind viele von ihnen unterversorgt. Mit dem demografischen Wandel steigt die Anzahl alter und demenzerkrankter Menschen. Neben allen aktuellen Krisen stellt sich auch hier die Frage: Wie verhalten wir uns als Gesellschaft? Wie gehen wir mit dieser Herausforderung um?
TRANSKRIPT des Interviews
CLS: Guten Morgen, Herr Professor Diehl, Herr Klöckener, Frau Johannes, ich freue mich, Sie begrüßen zu dürfen. Sie haben einen der ersten Lohfert-Preise gewonnen mit dem Projekt Demenzmanagement Blauer Punkt. Wie viele blaue Punkte haben Sie inzwischen verteilt?
R. Diehl: [01:18] Also, blaue Punkte verteilen - das war in der Anfangszeit tatsächlich unsere Umschreibung der Tatsache, dass ein Patient unserer unseren Service des Demenzmanagement bekommt, also eine besondere Fürsorge, um es mal so auszudrücken. Dann sind das ungefähr 9000 blaue Punkte. Also etwa 1000 Patienten im Jahr werden durch unser Team in den beiden Standorten versorgt.
CLS: [01:49] Was kennzeichnet einen Patienten, der mit dem Verdacht oder schon einer diagnostizierten Demenzerkrankung zu Ihnen kommt?
R. Diehl: [00:02:08] Also, dass Kernmerkmal einer Demenz ist eine Gedächtnisstörung. Gedächtnisstörung bedeutet zweierlei: Einerseits kann keine neue Information mehr gespeichert werden. Andererseits kann eine ältere, bereits vorhandene Information nicht mehr abgerufen werden. Und Sie können sich vorstellen: Wenn ein Mensch mit einer Demenz ins Krankenhaus kommt, dann bringt ihn das in besondere Schwierigkeiten. Denn um sich zu orientieren im Krankenhaus, muss er einerseits räumliche Gegebenheiten, Gesichter abspeichern, um nicht ständig ein Fremdheitsgefühl zu haben und sich zurechtzufinden. Außerdem muss er auf Kompetenzen zurückgreifen, die er bereits früher erworben hat, die dann vielleicht im Zuge der Demenz auch verloren gegangen sind. Das heißt, diese Menschen, die dann oft aus ganz anderen Gründen ins Krankenhaus kommen - vielleicht wegen einem Unfall oder einer internistischen Erkrankung - diese Menschen mit Demenz sind also auf eine besondere Fürsorge im Krankenhaus angewiesen.
Das war das Anliegen des damaligen Projektes „Blauer Punkt“. Inzwischen ist das eine feste Institution im Krankenhaus, sich um die Menschen zu kümmern und zu verhindern, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes unter diesen Bedingungen durchdrehen hier im Krankenhaus.
CLS: [03:39] Dazu gehört ja auch die Unruhe, dass dann teilweise die Patienten orientierungslos über die Flure gehen. Worin genau besteht Ihr Konzept zum Demenz-Management?
S. Johannes: [03:51] Also da sind wir natürlich jetzt neun Jahre weiter und haben eine digitale Krankenakte. Das heißt, wir nutzen schon bei der Aufnahme eine Meldung der Patienten. Wir bekommen dann eine Liste ausgedruckt und finden dadurch jeden Patienten im Haus, der eine demenzielle Erkrankung hat, sodass wir gar nicht mehr groß suchen oder Punkte verteilen müssen.
Sondern wir nutzen die gegenwärtigen digitalen Möglichkeiten in vielerlei Hinsicht, dass man uns einfacher rufen kann oder auch, um Patienten schneller zu identifizieren - und auch das Personal noch mal mehr mit zu sensibilisieren „Da ist jemand, der eine Demenz hat.“
Dann haben wir eine Liste, die wir darüber ausdrucken können, sodass wir jeden Patienten sehen. Und wir besuchen natürlich jeden Patienten, der auf dieser Liste ist. Nicht jeder braucht da unsere Hilfe, der eine mehr oder weniger. Unsere Funktion ist es dann zu gucken, was braucht er jetzt? Braucht er eine beruhigende Hand oder muss da noch mal ein Kollege hin? Hat er viele Schmerzen oder braucht er Beschäftigung oder muss da der Logopäde kommen und solche Dinge, die wir dann eben koordinieren können.
Des Weiteren gucken wir natürlich auch immer auf die Angehörigen. Ist der Patient gut versorgt zu Hause? Fehlt es da an irgendwas? Kommt der Angehörige gut klar?
[00:08] Weil ein Patient, der zu Hause gut versorgt ist und gut betreut wird, der kommt auch ganz anders ins Krankenhaus. Die haben meistens dann schon einen Biografiebogen dabei. Ja, die haben sämtliche Sachen zur Orientierung dabei, solche Dinge. Da arbeiten wir natürlich auch viel mit der Alzheimer Gesellschaft, mit den Bögen, dass wir möglichst viel Informationen über den Patienten bekommen. Das ist das zum einen, dass wir die Betreuung anbieten, dass wir gucken: Wie läuft es weiter zu Hause?
Außerdem begleiten wir die Visiten unserer Ärzte mit, um eben da auch noch mal mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, um hinterher mit dem Patienten vielleicht noch mal übersetzen zu können, was das Fachchinesisch denn zu bedeuten hat. Solche Dinge vor allen Dingen.
Und mein Kollege Professor Diehl und der Herr Klöckener, die sitzen ja auch im Klinischen Ethik Komitee, um eben auch diese Seite noch mal mit zu beleuchten. Sind die Therapien auch wirklich sinnvoll für den Patienten? Gibt es da noch Fragen? Müssen die Angehörigen mit hinzugenommen werden? All solche Dinge. Also wir haben auch viel eine Lotsen-Funktionen, um zu gucken, dass der Patient auch die medizinische Hilfe bekommt, die er benötigt. Und die ist eben bei jedem Patienten ganz individuell.
CLS: [06:20] Verstehe. Dazu noch eine Frage: Sie sagten am Anfang, dass Sie ja inzwischen schon digital Nachricht bekommen, wenn ein Patient aufgenommen wird über die Erkrankung. Sie hatten ja ein festgelegtes Verfahren zum Demenz-Screening. Machen Sie das denn auch noch? Also sprich, wenn Patienten noch gar nicht unbedingt von ihrer Erkrankung wissen, dass sie da vorbeugend aktiv sind.
S. Johannes: [06:50] Ja, das machen wir weiter. Jeder Patient über 70, der in unsere Häuser aufgenommen wird, der bekommt ein sogenanntes ISAR Screening („Identification of Seniors at risk“, Anm.d.R.). Es wird geguckt, ob der Patient Hilfe braucht: Nimmt er zu viel Medikamente, hat er vorher schon Hilfe gebraucht, hat er Gedächtnisstörungen? Wir haben das erweitert um die Punkte: Besteht eine Demenz oder hatte der Patient schonmal ein Delir? Dem gehen wir dann natürlich nach. Bei den Patienten, die angeben, sie haben eine Gedächtnisstörung, machen wir weitergehende Untersuchungen - da kann der Professor Diehl vielleicht gleich noch mal was zu sagen Die Patienten, die eine Demenz angegeben haben, kommen mit auf unsere Liste. Ja, und auf das Delir-Management gehen wir gleich noch ein. Das machen wir also weiter bei jedem Patienten über 70.
CLS: [07:35] Ah, toll. Okay. Und dadurch verhindern Sie, dass Ihnen ein Patient verborgen bleibt. Und Sie können dann mit entsprechenden Maßnahmen des Delir-Managements weitergehen, wenn die Patienten operiert werden sollen. Mögen Sie dazu noch was sagen, Herr Professor Diehl?
R. Diehl: [07:52] Der springende Punkt an der ganzen Geschichte ist ja, dass der Patient letztendlich mehr Nutzen als Schaden durch den Krankenhausaufenthalt hat.
Und wir kennen bestimmte Punkte, die einfach ein hohes Risiko bergen, dass ein Patient Schaden nimmt.
Da ist zum Beispiel der Punkt, dass die Umgebung für den Patienten permanent fremd ist. Das ist schon mal der erste Delir-Risikofaktor, den wir reduzieren müssen. Deshalb haben wir in der Corona Zeit, als allgemeines Besuchsverbot in den Krankenhäusern herrschte - das war natürlich für diese Patienten besonders verheerend, muss man sagen – da haben wir speziell für Demenz- und Delir-Patienten das Besuchsverbot gelockert, sodass diese Patienten eigentlich täglich von ihren Angehörigen Besuch haben konnten. Das war eine der Maßnahmen, dass wir die Unterstützung dann auch von den Angehörigen bekommen. Ein anderes Beispiel eines Risikofaktors, der praktisch vorprogrammiert ist, ist eine anstehende Operation. Das ist ja eine unglaubliche Belastung. Nicht nur die Operation selbst, sondern auch die Anästhesie. Und ein geschädigtes Gehirn, das solchen Maßnahmen ausgesetzt wird, hat ein enormes Risiko, dass das ohnehin mühsam aufrechterhaltene Gleichgewicht danach komplett zerstört wird. Das nennt man dann auch das postoperative Delir. Das heißt, wir haben hier in Vorbereitung auf Operationen in besonderer Weise ein Auge auf die Patienten und achten besonders darauf, dass die Vertrautheitsaspekte erhalten bleiben. Auch direkt nach der Operation achten wir darauf, dass nach Möglichkeit vertraute Gesichter da sind. Das sind einige von sehr vielen Maßnahmen, von denen auch die anderen Kollegen Ihnen sicherlich nachher noch berichten können.
S. Johannes: [00:10:9] Wir haben ja mittlerweile auch einen Pflegestandard, also einen Expertenstandard zum Thema „Pflege von Menschen mit Demenz“ und im Rahmen dessen haben wir zuerst in Steele im Haus und jetzt auch hier ein besonderes Schmerz-Management zur Delir-Prophylaxe eingeführt. Da kann Herr Klöckener jetzt noch mal was zu sagen, weil er das so maßgeblich gestaltet hat.
J. Klöckener: [10:32] Ja, bei den Menschen mit Demenz ist es ja häufig durchaus schwierig einzuschätzen: Hat jemand Schmerzen oder nicht? Oder meldet er sich gerade? Ich meine, wenn man selber irgendwelche Verletzungen hat, dann wird ja gerade die Nacht immer sehr schlimm. Man hat dann Schmerzen, weil man nicht mehr abgelenkt wird. Und bei einem Menschen mit Demenz ist es ähnlich. Nur der kann sich häufig nicht melden. Er sagt dann nicht, dass er Schmerzen hat und kann auch nicht adäquat auf die Nachfrage antworten. Es gibt so Schmerz-Skalen, bei denen man dann fragt: „Wie stark ist der Schmerz? Sagen Sie mal von 1 bis 10.“ Dann können wir alle da irgendwie drauf antworten. Aber bei Menschen mit Demenz ist es häufig nicht so, und deswegen haben wir gerade für diese Patientengruppe eine eigene Schmerz-Skala etabliert bei uns in den Krankenhäusern: die sogenannte BESD Skala („Beurteilung von Schmerzen bei Demenz“[3]). Hier wird geguckt:, wie bewegt sich der Patient, wie liegt er im Bett, ob er grimassiert, wie laut er atmet, ob er unruhig ist. Das wird beobachtet und dann werden Punkte zusammengezählt. Das ist so eine Einordnungsmöglichkeit, ob jemand Schmerzen haben könnte. Und da schulen wir halt unsere Pflege-Kollegen auf den Stationen, damit die dieses Instrument nutzen können.
Denn Schmerzen sind einer der Faktoren, der maßgeblich daran beteiligt ist, dass ein Delir, zum Beispiel, entstehen kann.
CLS: [12:00] Verstehe. Sie haben das gerade schon so angesprochen. Sie schulen natürlich dann auch Ihre Kolleginnen auf der Station. Aber vor allen Dingen ist es auch ein Kommunikationsproblem, mit den demenzkranken Patienten so in Kontakt zu kommen, dass sie transportieren können, was sie brauchen. Ich habe in Ihrer Bewerbung gelesen bzw. in Ihrem Abschlussbericht, dass Sie insbesondere, um die Kommunikation mit Demenz-Erkrankten zu fördern und auch um das Verständnis der der Angehörigen und ihrer ehrenamtlichen Alltags-Begleiterinnen, die sie damals zumindest hatten, und um die Kommunikationskompetenz von ihren Kollegen zu verbessern, für die Kommunikation mit den demenzkranken Menschen eine Schulung durchführen lassen. Nach der sogenannten Integrativen Validation. Machen sie das noch und - das würde mich einfach interessieren - was sind das für Bestandteile? Also was lernt man da?
S. Johannes: [12:58]
Ja, also wir machen mittlerweile eigentlich permanent Schulungen, kurze Schulungen auf der Station, um eben immer wieder gebetsmühlenartig alle zu erwischen, auch die, die vielleicht neu angefangen haben.
Wir bieten Schulungen an für „Demenzversierte Pflege“ auf der Station, damit man einen Demenz-Spezialisten direkt vor Ort hat. Und da ist ein großer Bestandteil Kommunikation. Der Herr Klöckener und ich haben uns weiterbilden lassen zum Thema im Bereich der Validation. Also jetzt zu Corona war das eben nicht möglich, weil das ist ein Seminar ist, das nur in Präsenz machbar ist, weil man viel Gruppenarbeit machen muss und viel üben muss - aber jetzt im November starten wir wieder. Normalerweise hatten wir zweimal im Jahr einen Grundkurs à drei Tage, wo es nur um das Thema Demenz und Kommunikation geht. Und diese Validation, diese „integrative Validation nach Richards“. Das ist ja so, dass Frau Richards das quasi mitgebracht hat und vorwiegend in Altenheimen etabliert hat. Da geht es darum Kommunikation mit Menschen mit Demenz auf den emotionalen Gehalt einer Botschaft zu entschlüsseln - und nicht auf diese logischen Worte oder die verbale Kommunikation, die eben immer mehr abhanden geht in der Demenz. Das muss man üben, denn wir sind in unserer durchstrukturiert logischen Welt ganz anders programmiert. Und das müssen wir ja regelmäßig üben. Wir haben regelmäßig auch Refresh-Tage, an denen wir das noch mal ansprechen „Was ist gut gelaufen, wo müssen wir noch mal ran?“. Das machen wir seitdem regelmäßig. Es ist so, dass die Dozenten, die den Grundkurs durchführen dürfen, von diesem Institut geschickt werden. Und da war natürlich der Lohfert-Preis ein Segen für uns, dass wir diese externen Dozenten bezahlen konnten.
CLS: [15:04] Ah, okay, toll. Das heißt aber letztendlich, dass alle Menschen eine kurze Schulung kriegen, das gesamte Personal, das bei Ihnen arbeitet und mit dem Patienten in Kontakt kommt. Habe ich das richtig verstanden?
S. Johannes: [15:21] Na ja, wir versuchen das zumindest. Es gibt ja eine hohe Fluktuation, auch in den Krankenhäusern. Wir versuchen das schon, also möglichst alle zu erreichen, regelmäßig auch auf die Stationen zu gehen. Weil es natürlich ein Unterschied ist, ob ich in der Chirurgie Menschen mit Demenz habe oder bei den Internisten oder in der Geriatrie. Also so ein bisschen auch angepasst auf die Stationsbedürfnisse bieten wir Schulungen an. Wir bieten Schulungen an, die rein auf die Station bezogen sind, also auch auf sehr viel zum Thema Körperpflege, Kommunikation in der Körperpflege, aber auch Essen anreichen und solche Dinge. Und eben rein zur Kommunikation die Validationschulung.
[16:00] Zu den Alltagsbegleitern: Wir haben ja unsere grünen Damen auch alle geschult, aber die durften ja unheimlich lange, also zwei Jahre nicht ins Krankenhaus kommen aus hygienischen Gründen. Also das ist schwierig. Wir haben aber die Zeit genutzt und haben mit großer Unterstützung des Rotary Clubs Essen-Gruga dort Menschen ausgebildet. Und zwar genau 20, die bei uns regelmäßig jetzt Begleitung von Menschen mit Demenz machen während unserer Schulungs- und Gruppen-Angebote für Angehörige. Also während unserer Angehörigen-Gruppen und wenn unsere Angehörigen Kurse, die wir anbieten, besuchen, begleiten die vorne die Menschen mit Demenz, damit die Angehörigen mal eine Verschnaufpause haben und in Ruhe in unsere Gruppen und unsere Kurse gehen können. Das ist das, was man im Moment gut machen kann.
CLS: [16:54] Das heißt, das ist auch noch ein Pfeiler auf jeden Fall, dass Sie die Angehörigen beraten und unterstützen und schulen im Umgang mit ihren demenzkranken Angehörigen. Mir ist jetzt, wo Sie das alles erzählt haben und so ausführlich, da ist mir aufgefallen, dass Zeit ein wahnsinnig wichtiges Thema ist letztendlich. Also wer bezahlt das alles, wenn ich das so frech fragen darf?
R. Diehl: [17:07] Es gab ein anderes Projekt in Münster, bei dem die Projektleiterin auch eine ökonomische Doktorarbeit vergeben hat für den Geschäftsführer, der sich damit promoviert hat und der dann tatsächlich festgestellt hat: Wenn man fünf Personen zusätzlich einstellt, um Delir-Prophylaxe und Begleitung von Demenz-Patienten, insbesondere perioperativ in dem Haus zu leisten, dann verkürzt sich die Liegezeit durch die verhinderten Delire so stark, dass das Haus insgesamt so viel Gewinn macht, dass es fünf zusätzliche Personen einstellen kann.
CLS: [18:06] Also es rechnet sich im Prinzip.
R. Diehl: [18:08] Im Prinzip weiß man, es rechnet sich. Leider ist dieses Krankenhaus in Münster in ganz Nordrhein-Westfalen - obwohl die damalige Gesundheitsministerin dafür immer Werbung gemacht hat - das einzige geblieben, dass tatsächlich auch den ökonomischen Nutzen von diesen Maßnahmen berechnet hat. Aber ich will unser Haus, aber auch unser eigenes Haus auch in Schutz nehmen. Wir kriegen immer wieder für unsere Fortbildungsmaßnahmen einfach auch Gelder vom Haus zur Verfügung gestellt.
Längere Zeit waren wir in der besonders komfortablen Situation durch den Lohfert-Preis, dass wir unser eigenes Budget hatten und niemanden um Erlaubnis fragen mussten, und dann auch kleine Zusatz-Projekte davon bezahlen konnten.
Wie zum Beispiel – das hatten wir, glaube ich, damals schon angekündigt - die Kunst- bzw. die Kreativtherapie, also den Einsatz kreativer Mittel, um Demenz-Patienten aus der Finsternis für kurze Zeit herauszuholen. Das haben wir jahrelang einsetzen können, um damit eine Therapeutin zu bezahlen. Auch ansonsten, wenn wir Ideen haben und was Neues umsetzen möchten, dann sprechen wir natürlich mit unserer Geschäftsführung und haben da oft Entgegenkommen. Also wir nagen nicht am Hungertuch. Na gut. Gleichwohl wäre ein neuer Lohfert-Preis für uns sehr willkommen.
S. Johannes: [00:19:38] Ich möchte da noch mal ausdrücklich hinzufügen, dass wir eben auch ja weit und breit das einzige Krankenhaus sind, was sich dank unseres Pflegedirektors Menschen leistet, die diese Beratungsfunktion haben. Wir sind ja vom Dienst dafür quasi freigestellt.
Wir sind freigestellte Praxisanleiter und kümmern uns nur um unsere Menschen mit Demenz und die Angehörigen und die Schulung der Mitarbeiter.
Andere Krankenhäuser sagen, da stellen wir niemanden für frei. Das wird hier anstandslos gemacht. Und es ist so, dass wir auch im Team oft Menschen haben, die aus anderen Krankenhäusern bei uns hospitieren, die es dann aber nicht umsetzen. Also bei uns findet das statt. Also, wir würden natürlich gerne viel mehr und es gäbe noch viel zu tun, aber das ist geblieben. Und das ist in der heutigen Zeit mit der Personalknappheit etwas, was auch nicht gestrichen wurde. Und sind wir sehr, sehr froh drum. Andere Krankenhäuser, das habe ich bei Kollegen oft erlebt, haben ihr Personal dann bei Personalknappheit auf der Station eingesetzt.
[20:40] Wir sind (während der Pandemie, Anm.d.R.) nicht auf der Station eingesetzt worden, und wir durften unsere Arbeit weitermachen, wohl wissend, dass wir dadurch auch die Liegezeit verkürzen.
Also je besser ich mich um die Patienten kümmere - auch wenn ich jetzt nicht den Dienst tu´ auf der Station - umso eher kann der Patient nach Hause - weil auch der Angehörige darauf vorbereitet ist, weil Pflegehilfsmittel da sind, weil der weiß, wie der Umgang ist. Ja, diese Beratung dient ja auch wirklich dazu, einen zügigen, einfacheren Entlassungsprozess zu gewährleisten.
Und es war gerade in der Pandemie halt auch so wichtig, den Kontakt zu den Angehörigen zu haben. Die durften nicht rein und hatten ja nur uns quasi als Mittler. Und wir haben's dann auch mal mit ´nem Tablet versucht und so, aber die Technik hat bei Menschen mit Demenz nicht gut funktioniert. Sie haben dann ihre Angehörigen nicht gut erkannt und so, das war nicht gut. Also das war schon wichtig, dass da morgens auch mal eine angerufen hat und gesagt hat: „Heute Nacht war die Nacht gut, machen Sie sich keine Sorgen“ - die haben ja ihre Lieben bei uns abgegeben.
CLS: [21:37] Haben Sie das Gefühl, Sie konnten in irgendeiner Weise denn vorbildlich sein für andere? Also. Also trotz des finanziellen Immer-Drucks, den es gibt: Konnten Sie Ihr Projekt ein bisschen ausrollen?
J. Klöckener: [21:53] Ja, ich weiß nicht, ob ausrollen. Auf jeden Fall denke ich, Vorbildcharakter hat unsere Rolle sowieso und da weiß ich zumindest, dass – und ich kann da besonders für (den Krankenhausstandort) Steele sprechen - da bin ich schon anerkannt.
Zumindest, wenn ich auf eine Station komme, denken die direkt an Demenz. Also gerade auch, wenn meine Kollegen erleben, wie man auch mit Menschen mit Demenz umgehen kann und dass dann Sachen besser funktionieren.
Dann bringt man den einen oder anderen dann schon auch durch die Tat auch zum Umdenken. Also das, das merke ich schon, das habe ich jetzt erst hautnah diese und letzte Woche wieder erlebt. Dass man dann auch mit dem Wissen, was wir halt haben, zeigen kann, wie man anders mit diesen Menschen umgehen kann, die da im Krankenhaus liegen. Der eine hat dann vielleicht Schwierigkeit, dass eine Pflegehandlung durchgeführt werden muss. Und wenn er dann sieht „Mensch, vielleicht kann ich das auch anders machen.“ - das funktioniert auch in dieser Zeit.
CLS: [22:53] Ja. Kann ich mir gut vorstellen. Auf jeden Fall. Ja, das kann manchmal so einfach sein, dass man dann so eine Inspiration kriegt.
S. Johannes: [00:23:05] Als Inspiration werden wir durchaus häufiger mal gerufen, einen Vortrag oder einen Impulsvortrag zu halten oder zu erzählen, was wir machen. Und das eine oder andere Haus hat das auch für sich runtergebrochen oder hat Teams zumindest zu dem Thema gebildet. Und da ist es ganz oft, dass einer von uns dreien eingeladen wird. Da ist natürlich hier Professor Diehl auch auf ärztlicher Ebene noch mal wichtig.
Denn das muss interdisziplinär sein, dass man versucht, gemeinsam Sorgekontext für die Pflege von Menschen mit Demenz zu finden.
Was es natürlich auch schwierig macht, ist so ein schneller Durchlauf. Wir haben in Deutschland ja so eine durchlaufende Liegezeit von fünf bis sechs Tagen für einen Krankenhausaufenthalt. Das ist nicht viel Zeit, die man hat, um mit einem Patienten zu arbeiten. Aber nichtsdestotrotz müssen wir uns alle was einfallen lassen. Und es passiert schon oft, dass wir gefragt werden oder Professor Diehl eingeladen wird, einen kurzen Vortrag zu halten – „Wie habt ihr das gemacht und wie baut man das irgendwie so in diesen stressigen Krankenhaus-Alltag ein?“ Das muss ja auch für alle irgendwie tragbar sein. Also ich glaube, dass wir da eine Vorreiterrolle mitgespielt haben. So wie Münster das für den operativen Bereich gemacht hat, haben wir das für ein Akut-Krankenhaus - glaube ich - ziemlich geprägt.
CLS: [24:20] Ja, vielen Dank. Ich sehe, unsere Zeit ist leider schon um. Herzlichen Dank an Sie drei für die Zeit und für die vielen Informationen. Ich bedanke mich ganz herzlich und wünsche Ihnen weiter viel Erfolg, viel Kraft und Energie und mehr Zeit als Sie heute haben.
R. Diehl: Herzlichen Dank und vielen Dank, dass Sie uns nochmal die Gelegenheit gegeben haben, unsere Arbeit der Öffentlichkeit vorzustellen.
Anmerkung der Redaktion: Der Verweis der Gesprächspartner:innen auf das "Münsteraner Krankenhaus" bezieht sich auf das Delirmanagementkonzept des Universitätsklinikums Münster (UKM). Inzwischen wurde das UKM als "Demenzsensibles Krankenhaus" zertifiziert, wie bspw. in der kma nachzulesen.
Musik im Podcast: www.audiyou.de Markus Hildebrandt / Copyright Fotos Bertram Solcher für den Lohfert-Preis 2013 / Äußerungen unserer Gesprächspartner:innen geben deren eigene Auffassungen wider. Die Christoph Lohfert Stiftung macht sich Äußerungen ihrer Gesprächspartner:innen in Interviews und Beiträgen nicht zu eigen.