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„Mit einer vergleichsweise simplen Intervention die Gesundheitskompetenz stärken“

21. Juni 2022

Lohfert-Preis

Patientenbriefe in laienverständlicher Sprache klären nicht nur nachhaltiger über die medizinische Behandlung auf, sie verbessern auch nachweislich die Gesundheitskompetenz der Patient:innen. Diese sind dadurch besser in der Lage, gesundheitsrelevante Entscheidungen zu treffen und auf Augenhöhe mit den behandelnden Ärzt:innen zu kommunizieren. Mit den automatisiert erstellbaren „Patientenbriefen nach stationären Aufenthalten“ ist der „Was hab‘ ich?“ gGmbH eine Software-Lösung gelungen, die die Erstellung der laienverständlichen Patientenbriefe ohne weiteren Personalaufwand in der klinikeigenen IT ermöglicht.

Nicht nur die Jury des Lohfert-Preises ist von diesem Konzept überzeugt – der Innovationsausschuss der G-BA empfiehlt, die Patientenbriefe in die Regelversorgung zu integrieren. Dr. Thoms Lehnert sprach mit Ansgar Jonietz über das Projekt.

Geschäftsführer von
Geschäftsführer von "Was hab´ ich?" und Erfinder der "Patientenbriefe": Ansgar Jonietz, Foto: A. Garbe
Dr. Thomas Lehnert, wissenschaftlicher Referent der Christoph Lohfert Stiftung
Dr. Thomas Lehnert, wissenschaftlicher Referent der Christoph Lohfert Stiftung
Operation am Herzen: Die
Operation am Herzen: Die "Patientenbriefe wurden am Herzzentrum Dresden ausprobiert. Unser Medizinfotograf Bertram Solcher hat sich das Projekt vor Ort angeschaut. Seine Bilder gibt es in Kürze hier auf der Website.
 
Transkript (leicht redaktionell überarbeitet)

„Und das ist wirklich was Besonderes, dass man diese Änderungen in der Gesundheitskompetenz nachweisen kann und das mit einer vergleichsweise simplen Intervention. Also es geht ja um ein computergeneriertes Dokument, das der Patient zusätzlich bekommt. Es geht jetzt nicht um x Stunden zusätzliche Gesprächszeit.“ (A. Jonietz)

CLS: Ich freue mich, dass Herr Jonietz heute bei uns im Podcast ist und bedanke mich noch mal recht herzlich im Namen des Stiftungsteams, des Vorstands und des Kuratoriums der Christoph Lohfert Stiftung und beglückwünsche Sie zum Gewinn des Lohfert-Preises in diesem Jahr.

A. Jonietz: Vielen Dank. 

CLS: [00:23] Wissen Sie noch, was Sie gemacht haben, als Sie im Januar dieses Jahres die Information vom Innovationsausschuss des G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss, Anm.d.R.) bekommen haben, dass Ihr Projekt in die Regelversorgung des Entlassmanagements überführt werden soll?

A. Jonietz: Nein, das weiß ich nicht mehr.

CLS: [00:38] Was hat es in Ihnen ausgelöst, als Sie es dann gelesen haben?

A. Jonietz: Ja, das ist ganz interessant. Das ist ja ein Ziel, auf das man über Jahre hinarbeitet – Ziel oder Vision vielleicht auch. Und wo man auch merkt, irgendwie kommt man dem immer kleine Schritte näher, aber trotzdem ist es noch ziemlich unwirklich.

Also wenn man sich überlegt, dass das wirklich stattfinden würde, dass zukünftig jeder Patient/jede Patientin nach jedem Krankenhausaufenthalt eine verständliche Dokumentation bekommt - das wäre schon eine ganz schön große Veränderung im Gesundheitswesen, die wir dort mit angestoßen hätten, wenn es dazu kommt.

Und es fühlt sich trotzdem dann immer unwirklich an, wenn man die einzelnen kleinen Schritte wahrnimmt.

CLS: [02:00] Das glaube ich gern. Wie entstand denn die Idee zu den Patientenbriefen? Oder – das ist ja letztlich ein Aspekt von Ihrer Unternehmung „Was hab` ich?“ – können Sie die Anfänge skizzieren, wie Sie zu diesem Thema kamen?

A. Jonietz: Ja, genau, da muss ich auch ein bisschen ausholen, um zum Patientenbrief zu kommen. Das Projekt „Was hab‘ ich?“ hatten wir zu dritt im Januar 2011 gestartet. Meine beiden Mitgründer waren damals Medizinstudierende. Als Medizinstudent ist man häufig in der Situation, dass man immer wieder gefragt wird aus dem Familien- oder Bekanntenkreis: „Ich war beim Arzt, versteh´ nicht alles, was der mir gesagt oder aufgeschrieben hat. Du studierst doch Medizin. Kannst du mir das nicht erklären?“ Kann man auch als Mediziner. Wir haben uns dann überlegt: Was machen eigentlich die vielen Patient:innen, die gerade keine:n Mediziner:in im Bekannten- oder Familienkreis haben? Und sind dann relativ schnell – also vier Tage nach der Idee – mit der Website „Was hab‘ ich?“ online gegangen. Hier können Patient:innen unverständliche medizinische Befunde einsenden und bekommen dann von uns eine Erläuterung. Also wir sprechen von einer Übersetzung aus der medizinischen Fachsprache in leicht verständliches Deutsch.

Und wir haben sehr schnell gemerkt, dass es eine unglaublich große Nachfrage gibt. In den ersten vier Wochen nach Start haben wir schon über 500 Befunde übersetzt, inzwischen sind es über 50.000.

Also wir haben gemerkt, dass das Interesse bei Patient:innen auf jeden Fall da ist und sehr groß ist. Mit der Zeit haben wir aber auch gemerkt: Mit der individuellen Übersetzung jedes einzelnen Befundes können wir das Problem nicht wirklich nachhaltig lösen. Es ist sehr, sehr zeitintensiv, und auch 50.000 Befunde sind doch nur ein kleiner Teil aller Befunde, die in den letzten elf Jahren geschrieben wurden im deutschen Gesundheitswesen. Und deswegen haben wir mehr und mehr überlegt, wie wir eine Lösung finden, die im großen Maßstab noch besser funktioniert. Eine Lösung, die dafür sorgt, dass ein Patient oder eine Patientin im besten Fall direkt aus dem Gesundheitssystem heraus gut informiert wird, also von seiner Ärztin, von seiner Klinik, und eben nicht nur ein fachsprachliches Dokument bekommt, was er dann auf „irgendeiner ominösen“ Webseite „Was hab‘ ich?“ einsenden und übersetzen lassen muss. So sind wir auf den Patientenbrief gekommen – dass wir gesagt haben: Ach, eigentlich müsste es zusätzlich zu Arztbriefen – nicht statt Arztbriefen, sondern zusätzlich – doch auch etwas direkt für Patient:innen geben. Und das ist der Patientenbrief.

CLS: [04:18] Die Patientenbriefe werden ja vollautomatisiert auf Basis klinischer Routinedaten, die in den Krankenhäusern eh vorliegen, erstellt. Können Sie uns beispielhaft erläutern, wie das abläuft?

A. Jonietz: Ja, genau.

Eine Grundprämisse für uns bei der Entwicklung des Projektes war: Wir wussten, wenn wir jetzt eine Lösung schaffen, die Zeitaufwand in der Klinik auslöst, haben wir damit kaum Chance auf Realisierung im großen Maßstab. Die Zeit in den Kliniken ist so schon knapp.

Gerade bei dem ärztlichen Personal ist sie knapp. Und deswegen sind wir von Anfang an in einen Modus gegangen, wo wir gesagt haben, wir wollen das komplett automatisiert machen und ausloten, wie weit wir damit kommen oder wie gut das funktioniert. Und unser Weg sieht jetzt vor, dass wir die strukturierten Daten – im einfachsten Fall sind das ICD-Codes für Diagnosen ("International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems" - "Internationale Klassifikation der Krankheiten", Anm.d.R.), OPS-Codes für Operationen und Prozeduren ("Operationen- und Prozedurenschlüssel", Anm.d.R.) – als Grundlage nehmen. Diese Daten hat jede Klinik in Deutschland, die mit den gesetzlichen Krankenversicherungen abrechnet. Daraus erstellen wir dann die weiteren patientenverständlichen Informationen. Das heißt, wir haben sehr, sehr viele Textbausteine und Regeln erstellt durch unser ärztliches Team, um dann aus den strukturierten Daten aus dem Krankenhaus und unseren Texten diesen individuellen Patientenbrief zu erstellen.

CLS: [05:45] Da frage ich mich natürlich, medizinische Probleme können ja relativ komplex werden und die Patient:innen sind alle unterschiedlich, auch wenn es natürlich viele gemeinsame und Volkskrankheiten gibt. Wie stellen Sie sicher, dass die Inhalte sinnvoll und qualitativ hochwertig sind? Auch bei komplexen Krankheitsbildern, Multimorbidität und seltenen Erkrankungen? Gibt es auch Situationen, in denen das nicht funktioniert?

A. Jonietz: Ja, es funktioniert unterschiedlich gut, muss man ehrlicherweise sagen. Wir erklären zum Beispiel eine Diagnosenliste. Wir haben eine Liste von Hauptdiagnosen und Nebendiagnosen für eine:n Patient:in. In den meisten Fällen gibt es da aber zum Beispiel keine Zusammenhänge, die in den Daten direkt dargelegt sind zwischen den Diagnosen. Das heißt – also in Ausnahmefällen gibt es das schon, da gibt es ein System von Primär- und Sekundärcodierungen. Das wird dann auch in unseren Texten so abgebildet – aber in vielen Fällen hat man eben einfach eine Liste an Hauptdiagnosen, an Nebendiagnosen. Und die werden von uns auch in einer Art Aufzählung dargelegt. Nach unserer Erfahrung und auch nach unseren Studienergebnissen funktioniert das dennoch ganz gut. Es ist so, dass der Patient die Zusammenhänge ja durchaus auch kennt. Also er war ja dabei, es ist ja seine Erkrankung. Und wenn er dann noch zu einzelnen Erkrankungen die Hintergrundinformationen durchlesen kann oder auch noch mal die Grundinformationen, um was es dann da eigentlich geht, dann hilft ihm das häufig sehr. Klar sind das bei multimorbiden Patienten, wo es einige Seiten voll an Diagnosen gibt, viele Informationen. Da ist es wahrscheinlich so, dass das nicht jede:r Patient:in im vollen Umfang aufnehmen kann. Vielleicht dann aber die Angehörigen, denen so ein Dokument ja auch sehr helfen kann.

CLS: [07:30] Und vermutlich ist es ja auch in der Regel so, dass man nicht ohne Vorerkrankung sozusagen ins Krankenhaus kommt und danach fünf Diagnosen hat. Sondern es ist ein sich aufbauender Prozess und man hat dann vermutlich schon etwas Vorwissen, sodass vielleicht einzelne Elemente dazukommen.

A. Jonietz:

Es ist wichtig, immer daran zu denken, dass dieser Patientenbrief nur eine Ergänzung ist. Die normalen Arztgespräche, das Entlassgespräch, das findet ja weiterhin so statt und soll auch nicht ersetzt werden dadurch, dass man jetzt noch einen Patientenbrief bekommt.

Sondern es sind wirklich die zusätzlichen nachlesbaren Informationen für die ruhige Umgebung zu Hause, für die Angehörigen auch.

CLS: [08:13] Ein zentraler Aspekt der Patientenbriefe oder ein zentrales Ziel ist ja, wie Sie eingangs sagten, die Gesundheitskompetenz zu stärken. Und Sie haben die Effekte des Briefes in einer randomisiert kontrollierten Studie (RCT) mit 738 Patient:innen in Zusammenarbeit mit dem Herzzentrum Dresden und der Medizinischen Fakultät der TU Dresden evaluiert. Wie und in welchem Ausmaß verbessern denn die Patientenbriefe die Gesundheitskompetenz, und können Sie da zentrale Ergebnisse der Evaluationsstudie kurz darstellen?

A. Jonietz: [08:48] Ja, also wir hatten ein großes RCT (randomisiert kontrollierte Studie, Anm.d.R.) durchgeführt, wie Sie beschrieben haben. Und wir haben gesehen, dass die Resonanz sehr gut ist auf die Patientenbriefe. Viele Patienten – über 90 Prozent – haben angegeben, dass sie den Patientenbrief ausführlich gelesen haben, und etwa drei Viertel haben den Brief auch weiteren Personen gezeigt oder er wurde von weiteren Personen gelesen. Das sind in den meisten Fällen dann die Angehörigen. Das hat uns, ehrlich gesagt, gar nicht so überrascht, denn wir kennen hier auch die Resonanz von den direkten Befundübersetzungen, die wir für Patient:innen geschrieben haben, über unsere Webseite. Und wir wissen auch, dass die Patient:innen meistens sehr begeistert reagieren, dass wir ganz oft die Rückmeldung kriegen: „Zum ersten Mal habe ich so meine Erkrankung verstanden“ oder: „Zum ersten Mal hat mir das jemand so verständlich erklärt“. Das heißt, in der Richtung entsprach das schon unserem Erwartungswert.

Was uns wirklich besonders gefreut hat, ist, dass wir mit dieser Studie auch zeigen konnten, dass die Gesundheitskompetenz signifikant höher ist.

Also bei der Gesundheitskompetenz betrachtet man verschiedene Level. Und wir konnten zeigen, dass die Chance auf ein höheres Gesundheitskompetenz-Level um 67 Prozent steigt, wenn der Patient so einen Patientenbrief bekommen hat.

Und das ist wirklich was Besonderes, dass man diese Änderungen in der Gesundheitskompetenz nachweisen kann und das mit einer vergleichsweise simplen Intervention.

Also es geht ja um ein computergeneriertes Dokument, das der Patient/ die Patientin zusätzlich bekommt. Es geht jetzt nicht um x Stunden zusätzliche Gesprächszeit oder so was. Also die Intervention ist dann doch vergleichsweise simpel und klein, und wir hatten diese messbaren Ergebnisse in der Gesundheitskompetenz.

CLS: [10:35] Das ist in jedem Fall ein sehr erfreulicher Befund. Und wie Sie sagten: Die Tatsache, dass sich das ohne zusätzlichen personellen Aufwand aus den vorhandenen Daten generieren lässt, ist natürlich auch im Sinne der angespannten Personalsituation und aus einer gesundheitsökonomischen Sicht sehr vorteilhaft. Das hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass der Innovationsausschuss das neben den sonst auch guten Ergebnissen befürwortet – weil es wenig organisatorischen und sonstigen Aufwand bedeutet und den Menschen zugleich nützt.

Ein Befund der Studie war ja auch, und das ist auch besonders erfreulich, dass Menschen mit niedrigem und auch mittlerem Bildungsgrad eine höhere Chance zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz hatten. Also funktioniert und wirkt bei ihnen die einfache Darstellung besonders gut.

Und das deutet darauf hin, dass der Brief die richtigen Menschen abholt und nicht nur denen nützt, die eh schon viel Vorwissen und Kompetenz mitbringen.

Das fand ich sehr erfreulich. Worin bestehen weitere oder künftige Maßnahmen, um spezielle Populationen wie Menschen mit Migrationshintergrund oder solche mit Sprachbarrieren noch gesondert zu erreichen? Haben Sie da was geplant in der Richtung?

A. Jonietz: [11:55] Ja, wir haben einige Pläne und Ideen in der Schublade. Im Moment verwenden wir ein Sprachniveau, mit dem wir versuchen, möglichst viele Leser:innen mit abzuholen, die Informationen so zu verpacken, dass die Menge an Leser:innen möglichst groß ist, die dann wirklich auch die Inhalte verstehen und aufnehmen kann. Wir verwenden dazu die sog. Einfache Sprache. Dazu haben wir für uns projektintern ein Regelwerk entwickelt, mit Regeln, die wir konkret aus der Einfachen Sprache anwenden. So versuchen wir einen Mittelweg zu gehen. Vielleicht kennen das manche Zuhörer:innen: Es gibt auch noch die Leichte Sprache mit einem niedrigeren Sprachniveau, mit der man noch mehr Menschen erreichen würde – allerdings auf der anderen Seite auch viele Menschen quasi „verprellt“, die eine höhere Lesekompetenz haben und für die die Texte dann abschreckend wirken. Das haben wir versucht zu vermeiden und gehen deswegen eine Art Mittelweg, um die große Masse zu erreichen. Grundsätzlich hat sich das auch in den Studienergebnissen so bestätigt. Nun gibt es immer noch Menschen, die wir noch nicht gut oder noch nicht perfekt erreichen können, die dann doch ein noch einfacheres Sprachniveau brauchen könnten. Das wäre das eine Szenario.

Und das andere Szenario wären sicherlich Fremdsprachen, mit denen wir noch viel mehr Menschen erreichen können. Da haben wir wieder den positiven Effekt durch die komplette Automatisierung, dass man einen einmaligen Übersetzungsaufwand bräuchte, um die Patientenbriefe auf Knopfdruck in der Fremdsprache erstellen zu können.

Das wäre das nächste Szenario. Darauf sind wir auch schon vorbereitet. Wir können das aber im Moment noch nicht stemmen, dass wir die Texte in die zwei, drei relevantesten Fremdsprachen übersetzen lassen und das dann im Krankenhaus, bei Entlassung oder bei Aufnahme, definiert werden kann, in welcher Zielsprache der Patientenbrief erstellt werden soll.

CLS: [13:52] Das scheint mir sinnvoll und machbar in der heutigen Zeit, in der es automatisierte Übersetzungsprogramme gibt, die aber vielleicht, wenn es sehr spezifisch wird, dann auch nicht mehr ganz so gut funktionieren. Das würde sicherlich auch bei Menschen, die nicht so eine gute Sprachkompetenz im Deutschen haben, helfen können, wenn das zukünftig möglich wäre. Haben Sie darüber hinaus Pläne? Neben der möglichst weiten Durchdringung in der Regelversorgung der Patientenbriefe?

A. Jonietz: [04:28] Ja, viele sogar. Es gibt verschiedene Ebenen. Also für uns ist immer interessant, die Patientenbriefe noch informativer zu machen. Ich hatte anfangs gesagt, der Basisdatensatz für uns sind ICD- und OPS-Codes für Diagnosen, Operationen und Prozeduren.

CLS: [14:45] Könnten Sie für unsere Hörer:innem kurz erläutern, was man unter ICD- und OPS-Codes versteht?

A. Jonietz: [14:52] Ja, das sind Klassifikationen oder – man kann sagen – Kodierungen, mit denen jeder Erkrankung ein bestimmter Code zugeordnet wird. Das ist grundsätzlich ein internationales System. Aber es gibt auch eine Abwandlung für Deutschland, die jedes Jahr aktualisiert wird. Denn es kommen ja bekanntlich neue Erkrankungen hinzu oder werden bekannt. Und dann hat man wirklich für jede Erkrankung und für jede konkrete Ausprägung einer Erkrankung eine Buchstaben-Zahlenkombination. Das ist der sogenannte ICD-Code. Den kennt man zum Beispiel von einer Arbeitsunfähigkeit-Bescheinigung, da steht der auch drauf. Parallel dazu gibt es das System der OPS-Codes. Hier wird für Operationen und Prozeduren, also zum Beispiel Untersuchungsverfahren, auch jeweils ein konkreter Code vergeben.

Wir möchten das aber noch mit weiteren Informationen ergänzen und können da mit allem arbeiten, was in strukturierter, das heißt maschinen-verarbeitbarer Form in der Klinik vorliegt. Im einfachsten Fall ist das zum Beispiel so etwas wie ein Medikationsplan.

Der Medikationsplan steht ganz oben auf unserer Wunschliste, weil wir wissen, dass das auch für Patient:innen sehr wichtig ist. Und es ist auch für die Therapiesicherheit ein relevanter Punkt, dass es einen verständlichen Medikationsplan gibt.

Für uns würde „verständlich“ bedeuten, dass zu jedem Medikament auch zwei, drei Sätze erläutert werden, was die Indikation oder Wirkung von diesem Medikament sein soll. Das kann bekanntlich auch die Motivation erhöhen, das Medikament korrekt einzunehmen. Also da sind wir immer ein bisschen abhängig von der Datenlage. Aber die Tendenz ist so, dass immer mehr Kliniken diese Daten wie den Medikationsplan in strukturierter Form bereitstellen können.

Ja, und dann kann man das beliebig weiterdenken. Zum Beispiel liegen Laborwerte häufig auch schon strukturiert vor. Das heißt, die könnten wir auch gut erklären. Man muss natürlich im Einzelfall hinterfragen, wie patientenrelevant oder nützlich das ist. Aber das ist die Schiene – dass wir sagen, wir wollen eigentlich noch mehr Informationen aufnehmen in diesen Patientenbrief.

Andere Ebenen beziehen sich dann darauf, wie wir diese Informationen verpacken oder auch zustellen können. Über Sprachvarianten haben wir gerade schon gesprochen. Man kann auch überlegen, wenn der Patientenbrief in einer digitalen Form verwendet wird – zum Beispiel in einem Patientenportal (elektronische Einbindung von Patient:innen in den Behandlungsprozess, Anm.d.R.) oder perspektivisch in der ePA (elektronische Patientenakte, Anm.d.R) – dann kann man auch eine interaktivere Variante anbieten.

Für uns ist häufig die Herausforderung zu entscheiden, wie viele Informationen geben wir denn? Wenn eine Diagnose erklärt wird: Wo fängt man an und wo hört man auf?

Zu tief ins Detail wollen wir auch nicht gehen, weil die Informationen dann zu umfangreich werden. Trotzdem gibt es auch wichtige Informationen, die wir unterbringen können. Sobald man im digitalen Raum unterwegs ist, kann man das auch noch interaktiver gestalten, dass ein:e besonders interessierte:r Patient:in da vielleicht noch mehr Hintergrundinformationen ausklappen kann, dass er vielleicht auch selbst das Sprachniveau adjustieren kann und sagt: „Okay, das hier will ich noch einfacher nachlesen, oder hier brauche ich ein bisschen fachlichere, tiefere Hintergrundinformationen“. Solche Entwicklungen haben wir auch im Hinterkopf.

CLS: [18:18] Ja, sehr interessant und auch sehr sinnvoll. Das scheinen auch alles Dinge, die sich gut durch Studien überprüfen lassen, wie und was vielleicht bei bestimmten Zielgruppen sinnvoller ist und besser ankommt. Das ist natürlich letztlich auch eine Frage der Mittel, die man dafür braucht. Jetzt noch eine ganz praktische Frage, die tatsächlich schon an uns als Stiftung herangetragen wurde: Wenn sich eine Klinik oder das Klinikmanagement zusammen mit dem Entlassmanagement dafür interessiert, Patientenbriefe bei sich einzuführen – wie würden sie dann vorgehen?

A. Jonietz: [18:57] Ja, im ersten Schritt setzt man sich mal zusammen – ob in echt oder digital – und klärt ein paar Rahmenbedingungen. Eine Rahmenbedingung ist immer: Welche Daten liegen vor? Also fängt man erstmal mit ICD- und OPS-Codes an? Oder gibt es noch weitere Informationen, die man direkt miteinfügen möchte, weil zum Beispiel schon der Medikationsplan in der Klinik oder im Krankenhaus- Informationssystem (KIS) gut strukturiert vorhanden ist. Das ist die Datenlage. Dann die IT-Frage: Wie macht man konkret die Anbindung? Das ist dann in der Regel mit der lokalen IT-Abteilung kurz zu klären.

Es ist technisch alles keine ganz große Herausforderung, ein paar ICD-Codes aus dem KIS auszuleiten, um einen Patientenbrief erstellen zu können. Aber man muss in der Regel überlegen, was konkret der beste Weg ist.

Wir sind technisch sehr flexibel und schnittstellenflexibel. Das heißt wir haben eine Software-Komponente, die irgendwie verbunden werden muss mit dem KIS, aber wir können quasi mit allen Daten arbeiten, die irgendwie aus dem KIS rauskommen können.

Ja, eine strategische Frage, über die man dann meist noch diskutiert, ist, ob man die Patientenbriefe wirklich in der Papier-Variante oder in einer digitalen Variante vorsieht. Nach meiner Erfahrung gibt es da eine Fifty-Fifty-Aufteilung zwischen den Häusern. Die einen sagen: Ja, Papier funktioniert für uns immer noch am besten. So digital sind unsere Patient:innen noch nicht unterwegs. Die andere Hälfte sagt: Ach, mit Papier fangen wir erst gar nicht mehr an – wenn wir was neu machen, dann auf jeden Fall digital. Grundsätzlich widersprechen sich die beiden Welten auch nicht.

Also ich lebe sonst auch sehr digital, aber dieser Patientenbrief auf Papier hat auch seinen Charme.

Wir erstellen den wirklich als kleine gebundene Broschüre, die kommt automatisch so aus dem Drucker. Das hat eine andere Bedeutung als ein PDF, das irgendwo in der ePA liegt oder für das ich einen Link per E-Mail zugeschickt bekomme. Also deswegen haben diese Überlegungen schon ihre Berechtigung – auch, ob man nicht trotz aller Effizienzsteigerungen und digitalen Prozesse bewusst auf Papier setzt.

CLS: [21:12] Super, das klingt nicht allzu kompliziert. Und die Patientenbriefe werden ja schon an verschiedenen Kliniken generiert und versendet und kommen den Patient:innen dort zu Gute. Man kann nur hoffen – und ich wünsche mir das auch – dass Sie damit viel Erfolg haben und dass die Patientenbriefe tatsächlich, wie es der Innovationsausschuss vorschlägt, Teil der Regelversorgung werden. Weil sie, wie die Studie auch gezeigt hat, das Potenzial haben, die Gesundheitskompetenz zu verbessern und damit dann auch die gemeinsame Entscheidungsfindung im Sinne des shared decision making (partizipative Entscheidungsfindung, Anm.d.R.). Denn das hört ja nicht auf mit der Entlassung aus dem Krankenhaus. In der Regel geht es ja weiter. Und wenn die Menschen dort besser informiert sind und vielleicht auch mehr Sicherheit insgesamt haben, können sie ihre Präferenzen und Wünsche den weiter betreuenden Ärzt:innen und Versorgern gegenüber mehr auf Augenhöhe artikulieren. In diesem Sinne bedanke ich mich für das nette, sympathische Gespräch mit Ihnen und wünsche Ihnen und dem Projekt alles, alles Gute!

A. Jonietz: Ja, vielen Dank auch für das Gespräch und die guten Wünsche. Wir bleiben dran. Es gibt noch viel zu tun. Aber ja, wir gehen es an!

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Fotos: Amac Garbe für "Was hab´ ich?" gGmbH / Musik im Podcast. www.audiyou.de Markus Hildebrandt / Äußerungen unserer Gesprächspartner:innen geben deren eigene Auffassungen wider. Die Christoph Lohfert Stiftung macht sich Äußerungen ihrer Gesprächspartner:innen in Interviews und Beiträgen nicht zu eigen.

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