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Den Tagen mehr Leben geben!

12. Oktober 2020

News

„Wir können dem Leben nicht mehr Tage geben, aber den Tagen mehr Leben!“ Dieser Satz des Kinderhospizes Sternenbrücke in Hamburg betrifft uns alle, aber vor allem Menschen, die aufgrund einer lebensverkürzenden Krankheit einem Abschied entgegen sehen. Darauf machte am vergangenen Samstag der Welthospiztag aufmerksam. In der gegenwärtigen Hamburger Hospizwoche finden zudem in vielen Einrichtungen Hamburgs Veranstaltungen zum Umgang mit dem Thema statt.

Neben Hospizen erleichtern vor allem Palliativteams die letzten Wochen Sterbender. Die Hospiz- und Palliativversorgung gehört seit der Einführung des Hospiz- und Palliativgesetzes im Jahr 2015 zur Regelversorgung der Krankenkassen. Damit steht Menschen in Deutschland das Recht zu, zuhause sterben zu dürfen und dabei, so gut es geht, betreut zu sein. Oder, wie Sven Goldbach sagt: „Kein Mensch hat es verdient, allein zu sterben“. Auch unser Stifter Dr. Christoph Lohfert wurde zuletzt von einem Anbieter der sog. Spezialisierten Ambulanten Versorgung (SAPV) betreut. Angesichts des dreijährigen Todestages von Dr. Christoph Lohfert haben wir mit Sven Goldbach, Leiter des GoldbachPalliativPflegeteams und Vorstand des Landesverbandes Hospiz und Palliativarbeit Hamburg, gesprochen.


Herr Goldbach, wie viele Menschen werden in Hamburg von Palliativpflegeteams wie dem Ihren betreut? Wie viele stehen auf Ihrer Warteliste oder mussten Sie aufgrund fehlender Finanzierung durch die Krankenkasse ablehnen?

In Hamburg arbeiten acht ambulante Palliativteams und ein spezielles Palliativteam für Kinder. Im letzten Jahr haben alle Teams zusammen 3.500 Patienten versorgt. Wir sind so strukturiert, dass wir jeden angemeldeten Patienten innerhalb von 48 Stunden an Werktagen aufnehmen können. Wir persönlich glauben, dass das ein notwendiges Muss sein sollte in der ambulanten Palliativversorgung – diese Menschen und ihre Angehörigen haben oft nicht die Zeit, um einer Warteliste auszuharren.

Ablehnungen der Krankenkasse unter fünf Prozent

Die Ablehnungen der Krankenkasse halten sich seit Jahren stabil unter fünf Prozent. Meistens gibt es aber nach Gesprächen und Erläuterung der speziellen palliativen Situation eine Einsicht bei den Kostenträgern, so dass tatsächlich auch ein Großteil der erst abgelehnten Versorgungen im Endeffekt durchgeführt werden können. Die Zusammenarbeit mit den gesetzlichen Krankenkassen ist deutlich kooperativer und besser in den letzten Jahren in der ambulanten Palliativversorgung geworden.

Wo sehen Sie die größten Erfolge des Landesverbandes Hospiz und Palliativarbeit Hamburg e.V. (LVHP) und was möchten Sie dringend verändern?

Der größte Erfolg des LVHP besteht sicherlich darin, eine dauerhafte Vernetzung und Netzwerkarbeit der verschiedenen Anbieter im Hospiz- und Palliativbereich stationär und ambulant aufgebaut zu haben und dies über Jahre bereits mit stetigem Zuwachs auszubauen. Eine große Errungenschaft für Hamburg ist auch die Koordinierungsstelle für Hospiz- und Palliativarbeit, unter Federführung des LVHP und mit Förderung der Stadt Hamburg. Hier können die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Hamburg alle Informationen über die Hospiz- und Palliativversorger in Hamburg persönlich, telefonisch oder im Internet erfragen. 

Demographische Entwicklung verleiht Hospiz- und Palliativversorgern mehr Gewicht

Mein Wunsch wäre, dass der LVHP sich politisch und gesellschaftlich für die Zukunft einbringen wird. Besonders während der Pandemie im Frühjahr wäre sicherlich eine Zusammenarbeit zwischen dem LVHP und den Behörden in vielen Punkten hilfreich gewesen. Aber auch in Anbetracht der demographischen Entwicklung ist es wichtig, dass die Hospiz- und Palliativversorger in Hamburg politisch und gesellschaftlich eine Stimme haben.

Sterben gehört nicht wirklich zu unserem Alltag – erst, wenn es persönlich Nahestehenden schlecht geht, werden wir mit dem Tod konfrontiert. Können Sie uns als Gesellschaft, und auch jedem einzelnen etwas raten für den Umgang mit Sterbenden und deren Angehörigen?

Lassen wir das Sterben wieder in unser Leben. Lange haben wir das Sterben und den Tod aus unserem Alltag komplett verdrängt. Menschen starben zum Großteil in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Dies hatte sicherlich viele Gründe, auch ganz pragmatische Dinge wie Organisation, Zeitmangel, Berufstätigkeit. Aber auch die Dinge wie Angst, Überforderung, Verdrängung und das Gefühl hilflos zu sein. Hier ist in den letzten Jahren viel an Aufklärung gelaufen. Die Versorgungsstrukturen besonders in der ambulanten Palliativversorgung sind deutlich besser geworden. Erste Erfolge zeigen, dass das Sterben doch auch wieder in der Häuslichkeit etabliert wird. 

Erkrankung und die Folgen annehmen, sich professionelle Hilfe suchen und die Hilfe zulassen

Mein Rat ist zu versuchen, die Erkrankung und die Folgen anzunehmen, sich professionelle Hilfe vermitteln zu lassen oder zu suchen und die Hilfe dann auch zuzulassen. Das schlimmste in dieser Situation ist es, wenn man so überfordert und hilflos durch den nahen Tod ist, dass man keine Unterstützung mehr zulassen kann. Hier können die ambulanten Palliativteams eine große Unterstützung darstellen.

Die Pandemie hat durch die Kontaktbeschränkung massiv zur Vereinsamung vor allem älterer Menschen geführt. Viele Menschen haben Sorge, ihre kranken und pflegebedürftigen Angehörigen mit dem Virus in Gefahr zu bringen. Wie gehen Sie und Ihr Team mit der Pandemie um?

Wir haben in der ersten dramatischen Phase im Frühjahr gesehen, wie Krankenhäuser und Pflegeheime sozusagen abgeriegelt wurden. Schwer erkrankte Menschen und Sterbende durften nicht besucht werden, waren allein. Dies war für die Betroffenen und ihre Angehörigen teils unverständlich und fühlte sich nicht richtig an. Wir müssen unbedingt vermeiden, dass es wieder zu solch einer Situation kommt. Menschen das Abschiednehmen zu verwehren, dürfen wir nicht wieder zulassen. Hier müssen definitiv andere Möglichkeiten gefunden haben. Viele unserer Patienten, die in dieser Zeit dringend  in stationäre Einrichtungen oder Krankenhäuser gemusst hätten, haben dies kategorisch abgelehnt. Die Herausforderung, diese Patienten weiter ambulant betreuen und versorgen zu können, war enorm unter den Bedingungen, die wir auch rein organisatorisch hatten (z.B. fehlende Schutzausrüstung).

Das Ziel bleibt, Menschen das Sterben in ihrer Häuslichkeit zu ermöglichen

Unser Ziel war und wird es immer bleiben, Menschen das Sterben in ihrer Häuslichkeit zu ermöglichen. Dies haben wir auch seit Beginn der Pandemie gut bewältigen können. Natürlich halten wir uns an alle behördlichen Vorgaben und hygienischen Schutzmaßnahmen. Aber wir sind bei unseren Patienten zu Hause. Dort muss uns bewusst sein, haben wir keine klinischen sauberen Verhältnisse haben. Wir sind bisher gut durch die Pandemie gekommen, wir haben bisher keine infizierten Mitarbeiter und führen prophylaktisch wöchentlich Tests durch. Die Pandemie hat vieles im Bereich der Organisation und hygienischen Maßnahmen verändert bei uns. Sie wird es uns aber nicht nehmen, unsere Patienten und ihre Angehörigen menschlich, bestmöglich und professionell bis zu ihrem Lebensende zu versorgen.

Hamburg im Oktober 2020


Copyright Foto: Goldbach PalliativPflegeTeam, Sven Goldbach

Äußerungen unserer Gesprächspartner und Autoren geben deren eigene Auffassungen wider. Die Christoph Lohfert Stiftung macht sich Äußerungen ihrer Gesprächspartner in Interviews und Beiträgen nicht zu eigen.

 

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