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Bakterien und Mikroorganismen einen Schritt voraus - ein kurzer Überblick zum Thema

14. Dezember 2022

Lohfert-Preis

„Verschlingt die Revolution ihre eigenen Kinder?“ Antibiotika haben nicht nur die Behandlung von bakteriellen Infektionen revolutioniert, sondern machen vieles in der Medizin erst möglich – Stichwort Operationen. Allein das natürliche Vorkommen von Keimen auf der Haut und in der Luft kann bei Eingriffen zu schweren Infektionen führen, weshalb beispielsweise die prophylaktische Antibiotikagabe aus der Chirurgie nicht wegzudenken ist. Und wie so oft das liegt das Geheimnis im richtigen Maß – Antibiotika wurden viel und lange mit wenig Bedenken eingesetzt – in der Human- , aber auch in der Veterinärmedizin. Die Folge: Immer mehr Bakterien entwickeln Resistenzen gegen gängige Antibiotika – die sog. antimikrobiellen Resistenzen (AMR) bezeichnet die WHO als „Stille Pandemie“. Inspiriert von der “World Antimicrobial Awareness Week 2022” im vergangenen November haben wir uns das Thema und auch die vergangenen LohfertPreis-Bewerbungen dazu noch einmal angeschaut – Dr. Thomas Lehnert fasst folgendes zusammen:

Antimikrobielle Resistenzen (AMR) gehören zu den großen Gesundheitsproblemen unserer Zeit (1). Einerseits verlieren immer mehr antimikrobielle Substanzen wie Antibiotika aufgrund von Resistenzen ihre Wirksamkeit, andererseits kommen kaum noch neue Substanzen hinzu, vor allem keine Medikamente mit neuartigen Wirkmechanismen (2). Damit wird die Behandlung von Infektionen insgesamt schwieriger. Unter AMR werden Veränderungen von Bakterien und anderen Mikroorganismen zusammengefasst, die zu einer weniger wirksamen oder unwirksamen Behandlung mit antimikrobiellen Substanzen führen. Häufig eingesetzte antimikrobielle Substanzen sind vor allem Antibiotika zur Behandlung bakterieller Infektionen, aber auch Antimykotika bei Pilzerkrankungen.

Lohfert-Preis-Gewinner von 2018: Ahoi - Patient im Boot, UK Greifwald, Prof. Nils-Olaf Hübner und Dr. Kathleen Dittmann, Fotos von B. Solcher in der Mediathek
Lohfert-Preis-Gewinner von 2018: Ahoi - Patient im Boot, UK Greifwald, Prof. Nils-Olaf Hübner und Dr. Kathleen Dittmann, Fotos von B. Solcher in der Mediathek

 

Anwendung von Antibiotika ab dem frühen 20. Jahrhundert eine große medizinische Erfolgsgeschichte

Eigentlich stellen die Entdeckung und therapeutische Anwendung von Antibiotika ab dem frühen 20. Jahrhundert eine große medizinische Erfolgsgeschichte dar (5). In der Vergangenheit oftmals tödlich verlaufende Infektionserkrankungen wie Tuberkulose, Syphilis, Malaria, Pest oder Cholera konnten durch den Einsatz verschiedener antimikrobieller Medikamente erfolgreich behandelt werden. So können Antibiotika einen hemmenden Einfluss auf den Stoffwechsel von Mikroorganismen haben und deren Vermehrung oder Weiterleben unterbinden. Im Laufe der Zeit haben viele Erreger durch genetische Veränderungen jedoch Resistenzen (Abwehrmechanismen) gegen vormals wirksame Medikamente entwickelt (2). Verstärkt wurde dieser natürliche evolutionsbiologische Prozess durch die zu häufige und unsachgemäße Anwendung antimikrobieller Substanzen, sowohl in der Humanmedizin als auch im Veterinärbereich (6,7).

RKI: „EIN DRINGENDER AUFRUF ZUM HANDELN“

Heute haben viele Antibiotika ihre therapeutische Wirksamkeit gegen bestimmte Erreger teilweise oder ganz verloren, was die Behandlung von Infektionen zunehmend erschwert und zu vermeidbarer Krankheitslast und unnötigen Todesfällen führt (4,8). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt AMR zu den zehn größten Gefahren für die globale Gesundheit und bezeichnet sie als „stille Pandemie“ (1, 10). Jährlich treten weltweit fast 5 Millionen Todesfälle im Zusammenhang mit Infektionen durch resistente Erreger auf; in direkter ursächlicher Folge von Infektion mit resistenten Erregern sterben global rund 1,3 Millionen Menschen (3). Schätzungen des Robert-Koch-Instituts gehen für Deutschland von 45.700 Todesfällen pro Jahr im Zusammenhang mit AMR aus, während 9.650 Menschen ursächlich aufgrund einer solchen Infektion versterben (4).

Antibiotikaentwicklung hinkt der Resistenzentwicklung hinterher

Während die Häufigkeit von Resistenzen zunimmt, werdengleichzeitig immer weniger neue Antibiotika entwickelt. Viele Pharmafirmen haben sich aus wirtschaftlichen Gründen aus der Antibiotikaforschung zurückgezogen (9). In Deutschland lohne sich die Entwicklung und Einführung neuer Substanzen unter den existierenden Vergütungsbedingungen nicht - auch, weil neue Medikamente zumeist als Reserveantibiotika eingesetzt werden, also nur selten als letzte Option gegen bestimmte Erreger, so das deutsche Ärzteblatt. Damit sich Pharmaunternehmen ernsthaft in der Entwicklung neuer Antibiotika engagieren, benötigen sie bessere ökonomische Anreize. Die Ausweitung spezieller Vergütungsmodelle für bestimmte Antibiotika kann hier Abhilfe schaffen, besser wäre jedoch eine darüberhinausgehende, umfängliche Reformierung des Vergütungssystems (10).

Teile der Lösung: Umfassende Hygienekonzepte, Antibiotic-Stewardship und die Qualifizierung zu „ABS“-Beauftragten

Neben der Entwicklung neuer antimikrobieller Substanzen existieren viele Maßnahmen, mit denen ambulante und stationäre Versorgungseinrichtungen und deren Patient:innen effektiv zur Verbesserung der Situation beitragen können. So lässt sich die Ausbreitung von Erregern durch die Umsetzung umfassender Hygienekonzepte erfolgreich präventiv eindämmen (11, 12). Um die Entstehung von Resistenzen besser zu kontrollieren, sollte darüber hinaus der sachgerechte und nachhaltige Einsatz von Antibiotika stärker intensiviert werden, sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich. Dringend notwendig wäre die verpflichtende Implementierung eines Antibiotic-Stewardship (ABS)-Teams und fachabteilungsbezogener ABS-beauftragter Ärzt:innen/Expert:innen in der stationären Versorgung. Zentrales Element des ABS ist der rationale Einsatz von Antibiotika durch den Nachweis einer bakteriellen Infektion, der Wahl eines geeigneten Antibiotikums, der Anpassung der Therapiedauer, und Dosierung und Form der Antibiotika-Gabe.

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Aufklärung, Fortbildung – und verbesserte Tierhaltung

Zwar sind sowohl die Verordnungszahlen von Antibiotika insgesamt, als auch der Anteil der Reserveantibiotika daran in Deutschland seit einigen Jahren rückläufig. Dennoch werden beide weiterhin zu oft verschrieben und damit zu unspezifisch gegen Infektionen eingesetzt (13). Das Resistenzproblem wird zudem durch den massenhaften Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung maßgeblich verstärkt. Entsprechend kommen – neben verbesserten Haltungsbedingungen von Nutztieren – der Aufklärung sowie der damit im Zusammenhang stehenden Aus-, Fort- und Weiterbildung rund um das Thema Infektionsschutz und AMR, sowohl in der Humanmedizin als auch der Tierhaltung, eine wichtige Rolle im Kampf gegen Resistenzen zu (10).

One Health – alles hängt mit allem zusammen

Die Ausbreitung von AMR einzudämmen, stellt letztlich jedoch ein globales Problem dar, das eine gemeinsame Anstrengung aller beteiligten Akteure auf den unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen bedarf (14). Denn auch der Klimawandel trägt zum steigenden Einsatz von Antibiotika bei: Schwindende Lebensräume für Wildtiere durch eine wachsende Bevölkerung mit zunehmender Mobilität und industrieller Landwirtschaft verstärken die Verbreitung (bakterieller) Zoonose-Erreger, die von Tier zu Mensch übertragen werden können. Hier kommt der One-Health-Ansatz ins Spiel: Der Kampf gegen Antibiotikaresistenzen lässt sich nur interdisziplinär – mit Humanmedizin, Veterinärmedizin, Umweltwissenschaften – gewinnen. Und dies auch nur mit einer nachhaltig ausgerichteten (Gesundheits-)Politik, in der die Bekämpfung des Klimawan­dels, der Erhalt der natürlichen Habitate der Tierwelt und der Biodiversität höchste Priorität einnehmen (15).

Lohfert-Preis-Bewerbungen zum Thema

Die Relevanz des Themas zeigt sich auch an der Vielzahl der respektiven Einreichungen um den Lohfert-Preis in den vergangenen Jahren. Exemplarisch hierfür steht das Projekt „AHOI-Patient im Boot“ der Universitätsmedizin Greifswald, Gewinner des Lohfert-Preis im Jahr 2018. Zielten bisherige Maßnahmen vor allem auf das Hygieneverhalten des medizinischen und Pflegepersonals ab, ist die besondere Idee dieses Projekts die aktive Einbeziehung und Befähigung der Patient:innen und Pflegebedürftigen sowie ihrer Angehörigen. Weitere Beispiele stellen die Einreichungen „Einführung von Antibiotic Stewardship (ABS)“ der Helios Kliniken GmbH aus dem Jahr 2020, das die Etablierung eines nachhaltigen unternehmensweiten Antibiotikamanagements zum Ziel hat, sowie das Projekt „Telemedizinische Versorgung von PatientInnen mit Infektionskrankheiten“, eingereicht vom Zentrum für Infektionsmedizin am Universitätsklinikum des Saarlandes für den Lohfert-Preis 2022, dar.  

Lohfert-Preis 2023 sucht Zukunftsfähige Konzepte für eine nachhaltige Gesundheitsversorgung“

Dem nachhaltigen und verantwortungsbewussten Umgang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen kommt in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung eine hohe Relevanz zu. Das Ausschreibungsthema des Lohfert-Preises im Jahr 2023 „Medizin neu denken: Zukunftsfähige Konzepte für eine nachhaltige Gesundheitsversorgung“ greift diesen Umstand auf. Gesucht werden praxiserprobte Konzepte und Projekte, die spezifische Aspekte der Nachhaltigkeit in und um die Gesundheitsversorgung herum adressieren und nachweislich verbessern helfen und dabei zugleich die Perspektive und Bedürfnisse von PatientInnen berücksichtigen.

Weitere Information zur Ausschreibung sowie die Bewerbungsplattform finden Sie hier.

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Quellenangaben

1 WHO 2019. Ten threats to global health in 2019. https://www.who.int/news-room/spotlight/ten-threats-to-global-health-in-2019

2 Saga T, Yamaguchi K. History of Antimicrobial Agents and Resistant Bacteria. JMAJ 52(2): 103–108, 2009. https://www.med.or.jp/english/journal/pdf/2009_02/103_108.pdf

3 Antimicrobial Resistance Collaborators. Global burden of bacterial antimicrobial resistance in 2019: a systematic analysis. Lancet 2022; 399: 629–55. International Journal of Antimicrobial Agents 44(5): 424-430. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(21)02724-0/fulltext

4 RKI. 2022. Antimikrobielle Resistenzen: Krankheitslast in G7-Staaten und weltweit. https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/9863/G7_AMR_DE_20220626.pdf?sequence=1&isAllowed=y

5 Holzgrabe U. Alte Seuchen und neue Antibiotika. PZ – Pharmazeutische Zeitung. Ausgabe 23/2015. https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-232015/alte-seuchen-und-neue-antibiotika/

6 Brandt C, Makarewicz O, Fischer T et al. The bigger picture: The history of antibiotics and antimicrobial resistance displayed by scientometric data. International Journal of Antimicrobial Agents 44: 424–430, 2014 https://www.researchgate.net/publication/265129681_The_bigger_picture_The_history_of_antibiotics_and_antimicrobial_resistance_displayed_by_scientometric_data

7 Palma E, Tilocca B, Roncada P. Antimicrobial Resistance in Veterinary Medicine: An Overview. International Journal of Molecular Sciences 2020, 21, 1914; https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7401552

8 European Antimicrobial Resistance Collaborators. The burden of bacterial antimicrobial resistance in the WHO European region in 2019: a cross-country systematic analysis. Lancet Public Health 2022; 7: e897–913. https://www.thelancet.com/journals/lanpub/article/PIIS2468-2667(22)00225-0/fulltext

9 Deutschlandfunk 2022:  Multiresistente Keime. Die stille Pandemie. https://www.deutschlandfunkkultur.de/multiresistente-keime-neue-medikamente-und-antibiotika-100.html

10 Osterloh F. Die stille Pandemie. Deutsches Ärzteblatt 119, Heft 29–30, 2022. https://www.aerzteblatt.de/archiv/226215/Kampf-gegen-Antibiotikaresistenzen-Die-stille-Pandemie

11 WHO 2017. Evidence of hand hygiene as the building block for infection prevention and control.  https://www.who.int/publications/i/item/WHO-HIS-SDS-2017.7

12 WHO 2020. Technical brief on water, sanitation, hygiene (WASH) and wastewater management to prevent infections and reduce the spread of antimicrobial resistance (AMR). https://www.who.int/publications/i/item/9789240006416.

13 WIdO 2020. Jedes zweite verordnete Antibiotikum ist ein Reservemedikament. https://www.wido.de/news-presse/pressemitteilungen/2020/reserveantibiotika/

14 WHO 2022. Quadripartite welcomes new political commitments in fight against antimicrobial resistance. https://www.who.int/news/item/25-11-2022-quadripartite-welcomes-new-political-commitments-in-fight-against-antimicrobial-resistance

15 New Deal für Entwicklung von Antibiotika gefragt, arztblatt.de, 16.11.2022,  https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/138849/New-Deal-fuer-Entwicklung-von-Antibiotika-gefragt

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