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Kosteneinsparungen durch Werbeverbote - eine Übersichtsarbeit zum Thema Adipositas und Marketing für Kinder

17. Oktober 2022

News

Das Ausschreibungsthema des Lohfert-Preises im Jahr 2022 fokussierte darauf, die Erreichbarkeit, Beteiligung und Aufklärung in der Gesundheitsversorgung zu verbessern. Eine aktuelle Studie zeigt nun negative Entwicklungen bei der Ernährung und Bewerbung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland auf. So hat der Medienkonsum bei den meisten Kindern zugenommen. Sie sehen daher auch mehr Werbung für ungesunde Lebensmittel, was vielfach zu schlechterer Ernährung und in der Folge zu Übergewicht führen kann.
Werbeverbote hätten – so die Schlussfolgerung der Autoren einer Übersichtsarbeit in der Sommerausgabe der Zeitschrift „Adipositas - Ursachen, Folgeerkrankungen, Therapie“ – das Potential, die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu verbessern und mittelfristig Kosten im Gesundheitssystem zu reduzieren. Der Erfolg von Werbeverboten liegt vor allem darin begründet, dass diese präventive Maßnahme sehr viele Kinder und Jugendliche erreichen würde. Einer der Autoren ist unserer wissenschaftlicher Referent Dr. Thomas Lehnert. Er hat den Artikel zusammengefasst:
Corona hat andere Gesundheitsrisiken in den Hintergrund gedrängt

Im Zuge der Coronapandemie wurden andere Gesundheitsrisiken und -probleme teilweise aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt, obwohl sie nach wie vor eine große Relevanz für die Betroffenen, das Gesundheitssystem und die Gesellschaft insgesamt haben. Empirische Evidenz deutet darauf hin, dass sich die Situation bei verschiedenen somatischen und psychischen Erkrankungen während der Coronapandemie verschlechtert haben könnte, unter anderem in Folge der Nicht-Inanspruchnahme von gesundheitlichen Versorgungsleistungen, so die sog. CoMoLo-Studie (1). Veränderte Lebensumstände haben darüber hinaus zu Verschlechterungen des Gesundheitsverhaltens geführt, beispielsweise im Bereich der Ernährung und der körperlichen Aktivität.

Aktuelle Studien zeigen, dass jedes sechste Kind seit Beginn der Pandemie an Gewicht zugenommen hat, ein Drittel mehr Süßigkeiten isst, sich fast die Hälfte der Kinder und Jugendlichen weniger bewegt und ihr Fitnessniveau insgesamt schlechter ist als vor der Pandemie.

Zudem hat die Mediennutzung bei über 70 Prozent zugenommen. Obwohl sich der Alltag der meisten Menschen wieder weitestgehend normalisiert hat, scheinen sich diese Trends bei Kindern und Jugendlichen verfestigt zu haben, wie eine FORSA-Umfrage im Auftrag der Adipositas-Gesellschaft zeigt (2).

 

 

Dr. Thomas Lehnert
Dr. Thomas Lehnert
 
Übergewicht und Adipositas in Deutschland weit verbreitet

Besorgniserregend ist diese Entwicklung vor allem deshalb, weil Übergewicht und Adipositas schon vor Corona eines der bedeutsamsten nationalen und internationalen Gesundheitsprobleme waren. In Deutschland sind über 60 Prozent der Erwachsenen mit einem BMI über 25 kg/m2 übergewichtig oder adipös; unter Kindern und Jugendlichen liegt die Häufigkeit bei 15,4 Prozent (2,1 Mio.) (3). Adipositas ist eine chronische Erkrankung, die diverse weitere Krankheiten nach sich ziehen kann - zum Beispiel: Diabetes Typ 2, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Krebserkrankungen, Depressionen. Und gesundheitsbezogene Beeinträchtigungen wie verminderte Lebensqualität, funktionale Einschränkungen, Behinderungen können die Folge sein.

Adipöse Kinder und Jugendliche sind in vielen Fällen auch im Erwachsenenalter noch betroffen. Aufgrund der hohen Krankheitslast nehmen adipöse Menschen mehr ambulante und stationäre Gesundheitsleistungen in Anspruch als Normalgewichte, was zu vermeidbaren Kosten für das Gesundheitssystem führt. Insgesamt geht mit Übergewicht und Adipositas eine hohe ökonomische Last einher, für das Gesundheitssystem, die Volkswirtschaft und letztlich die Gesellschaft als Ganzes.

Entstehung der Adipositas liegt ein komplexes Zusammenspiel diverser Faktoren zugrunde

Auf Ebene des Individuums entsteht Übergewicht durch eine, im Vergleich zum Energieverbrauch, dauerhaft zu hohe Energieaufnahme. Dabei wird überschüssige Energie als Fett im Körper eingelagert, was zur Gewichtszunahme und letztlich Adipositas führen kann. Die starke Zunahme des Übergewichtes über die letzten 50 Jahren – in Deutschland und vielen weiteren Ländern – wurde durch technologische, ökonomische und soziale Entwicklungen begünstigt, die in einer sogenannten „adipogenen“ (adipositasfördernden) Lebensumwelt mündeten. Darunter fallen alle physischen, ökonomischen, sozialen und sonstigen Faktoren und Einflüsse, die zu einer länger anhaltenden positiven Energiebilanz und damit Adipositas in Individuen und Populationen beitragen. Der Entstehung der Adipositas liegt also ein komplexes, multi-faktorielles Zusammenspiel von genetischen, physiologischen und weiteren Eigenschaften eines Individuums und diversen Aspekten seiner Umwelt zugrunde.

Werbung für ungesunde Lebensmittel beeinflusst die Ernährung von Kindern negativ

Ein relevanter, adipositasfördernder Faktor in der Lebensumwelt von Kindern und Jugendlichen stellt speziell an sie gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel dar, insbesondere für verarbeitete Lebensmittel mit hohem Gehalt an Zucker, Salz und Fett, wie Fast-Food. Einer aktuellen Studie der Universität Hamburg nach sehen Kinder in Deutschland täglich 10,34 Werbespots für ungesunde Lebensmittel im Fernsehen und weitere fünf Ad-Impressions im Internet. (4) Eine große Zahl empirischer Studien hat die Wirkmechanismen entsprechender Werbeinhalte auf das Ernährungsverhalten und die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen untersucht und deren negativen Einfluss aufgezeigt. (5) Die Ergebnisse implizieren, dass mit Werberegulierungen bzw. -verboten ein positiver Beitrag zur Ernährung und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland einhergehen würde. Daher sprechen sich sowohl die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) als auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für entsprechende Werbeverbote als primärpräventive Maßnahme aus. (6) Generell könnten Übergewicht und Adipositas und ihre Folgeerkrankungen durch geeignete primär- und sekundärpräventive Maßnahmen teilweise vermieden werden. 

Werbeverbote würden langfristig Kosten im Gesundheitssystem einsparen

Gesundheitsökonomische Studien haben untersucht, in welchem Verhältnis die Kosten von Werbeverboten zu den positiven gesundheitlichen Effekten und daraus resultierenden zukünftigen Kosteneinsparungen stehen. Die meisten Studien zeichnen diesbezüglich ein sehr positives Bild und gehen davon aus, dass der gesundheitliche Nutzen und die Kosteneinsparungen die Kosten für die Implementation und Aufrechterhaltung von Werberegulierungen mittelfristig übersteigen (d.h. diese Maßnahmen kosten-effektiv und oftmals kosten-sparend sind).

Ein maßgeblicher Grund liegt darin, dass die modellierten Werbeverbote sehr viele Kinder und Jugendliche erreichen würden, nämlich alle jene, die entsprechenden Werbeinhalten ausgesetzt sind, zugleich aber relative geringe Kosten, primär für die gesetzliche Implementierung und Durchsetzung, verursachen.

Die respektive empirische Evidenz zur Kosteneffektivität solcher Werberegulierungen, sowie die mit Übergewicht und Adipositas im Zusammenhang stehenden Kosten in Deutschland, wurden in einem kürzlich veröffentlichten Beitrag in der Zeitschrift Adipositas dargestellt. Den kostenpflichtigen Artikel finden Sie hier: https://eref.thieme.de/ejournals/2567-6334_2022_02#/10.1055-a-1782-4874.(7)

Dr. Thomas Lehnert, Hamburg, im September 2022


Literatur

1 Heidemann C, Reitzle L, Schmidt C et al. Nichtinanspruchnahme gesundheitlicher Versorgungsleistungen während der COVID-19-Pandemie: Ergebnisse der CoMoLo-Studie. Journal of Health Monitoring 2022 7(S1): https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/JoHM_S1_2022_Nichtinanspruchnahme_Versorgung.html

2 https://adipositas-gesellschaft.de/forsa-umfrage-zeigt-folgen-der-corona-krise-fuer-kinder-gewichtszunahme-weniger-bewegung-mehr-suesswaren-jedes-sechste-kind-ist-dicker-geworden/

3 Schienkiewitz A, Mensink GBM, Kuhnert R et al. Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen in Deutschland. Journal of Health Monitoring 2017; 2: 21-28

4 Effertz T. Das Ausmaß von Kindermarketing ungesunder Lebensmittel in TV und Internet in Deutschland. Adipositas - Ursachen, Folgeerkrankungen, Therapie 2022; 16(02): 106 – 112. DOI: 10.1055/a-1782-4974 und als Kurzfassung: https://adipositas-gesellschaft.de/wp-content/uploads/2021/03/Kurzfassung-Kinderwerbestudie.pdf

5 Qutteina Y, De Backer C, Smits T. Media food marketing and eating outcomes among pre-adolescents and adolescents: A systematic review and meta-analysis. Obesity Reviews 2019; 20: 1708-1719: https://www.researchgate.net/publication/335492255_Media_food_marketing_and_eating_outcomes_among_pre-adolescents_and_adolescents_A_systematic_review_and_meta-analysis

6 Effertz T, Garlichs D, Gerlach S et al. Wirkungsvolle Prävention chronischer Krankheiten. Prävention und Gesundheitsförderung 2015; 10: 95-100. / World Health Organization (WHO). Report of the Commission on Endning Childhood Obesity. Implementation Plan: Executive Summary. Im Internet: https://apps.who.int/iris/handle/10665/259349.

7 Lehnert T, Konnopka A, König HH. Gesundheitsökonomische Aspekte von Übergewicht und Adipositas: Krankheitskosten und Kosteneffektivität am Beispiel von Werberegulierungen. Adipositas - Ursachen, Folgeerkrankungen, Therapie 2022; 16(02): 76 – 84: https://eref.thieme.de/ejournals/2567-6334_2022_02#/10.1055-a-1782-4874.

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