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CL: Ihr Projekt „Interdisziplinäres Chemotherapiemanagement zur Fehlermessung und Fehlerprävention“ ist mit dem Lohfert-Preis 2015 ausgezeichnet worden. Was ist das Wesentliche Ihres Projektes?

ME: Unsere Patienten stellen durch ihre Tumorerkrankungen eine vielschichtige medizinische Herausforderung dar. Wir behandeln sie mit hochkomplexen und potenziell toxischen Chemotherapien. Das Wesentliche unseres Projektes ist es, dafür zu sorgen, dass die Indikationen für diese Therapien sicher gestellt und bei der Therapiebestellung und -applikation keine Fehler passieren, damit die Wirkung und Verträglichkeit beim Patienten bestmöglich ist. Wir arbeiten patientennah und auf den onkologischen Stationen im großen interdisziplinären Team aus Ärzten, Pflegenden, Klinikumsapothekern und dem sog. Chemotherapie-Management-Team. Ziel unserer Arbeit ist es, eine substantielle Unterstützung durch dieses Chemotherapie-Management-Team zu erreichen, damit die Chemotherapie sicher beim Patienten ankommt.

CL: Darf ich, Frau Prof. Engelhardt, etwas provozierend fragen: Ist das nicht eine Selbstverständlichkeit?

ME: Ja, allerdings: Errare humanum est, sed in errare perseverare diabolicum („Irren ist menschlich, aber auf Irrtümern zu bestehen ist teuflisch“). Dieses Irren sollte aber den Patienten nicht treffen. Da vier Augen besser als zwei sehen, gibt es – neben dem Cemotherapie-bestellenden Arzt und der Klinikapotheke – unser Chemotherapie-Management-System. Wir alle wachen über die sichere Therapie unserer Patienten. Jede Instanz achtet dabei auf unterschiedliche und überlappende Aspekte: wir Ärzte, nahe am Patienten, dass wir die individuellen Besonderheiten der Tumorpatienten kennen; das separate Chemotherapie-Management-Team kontrolliert die Chemotherapiebestellung des Arztes, genauso wie die Klinikapotheke. Erst wenn beide Instanzen, Chemotherapiemanagement-Team und Klinikapotheke keinen Fehler bei der Chemotherapiebestellung gefunden haben, wird die Chemotherapie aus der Apotheke und ein patienten-spezifisches sog. Kurvenblatt, welches die Chemotherapie und Begleitmedikation des Patienten genau aufführt, für den jeweiligen Patienten auf die Station geliefert. Diese beidseitige Kontrolle führt zur hocheffektiven Fehlervermeidung mit dem Resultat der sicheren Chemotherapie.

CL: Der Titel Ihrer Bewerbung läuft auf ein Fehlermess-System hinaus. Ein Mess-System, das Fehler aufdeckt und verhindert, dass diese den Patienten treffen. Der Patient kommt mit einem kollektiven Angstgedächtnis auch in Ihr Krankenhaus, in Ihre Klinik. Wie gehen Sie damit um?

ME: Wir werten unser Fehlermess- bzw. Kontroll-System jedes Jahr genau aus. Damit wollen wir die Patienten, Kollegen und uns davon überzeugen, dass dieses System ausgezeichnet und der Aufwand, den wir betreiben, gerechtfertigt ist. Nach den internationalen Publikationen haben wir die im Rahmen einer Chemotherapie auftretenden unmittelbaren Fehler in drei Kategorien eingeteilt: Den sog. Typ A-Fehler, der die Chemotherapie-Substanz selber betrifft. Ein Beispiel wäre die Applikation einer falschen Dosis, also eine relevante Unter- oder Überdosierung. Ein Typ-A-Fehler sollte auf keinen Fall passieren, tritt allerdings nach internationaler Literatur in 4% aller Fälle auf. Der Typ-B-Fehler ist ein Fehler im Zusammenhang mit dem Patienten, beispielsweise das Übersehen einer Komorbidität, wie einer Nierenfunktionseinschränkung. Natürlich sollte auch der Typ-B-Fehler nicht passieren. Zuletzt der Typ-C-Fehler, der administrative Fehler betrifft. Dabei sind wir als Ärzte verpflichtet, den Patienten über die geplante Therapie aufzuklären und benötigen immer eine schriftliche Einverständniserklärung des Patienten. Diese belegt, dass der Patient die angestrebte Therapie verstanden hat und mit deren Durchführung – mündlich und schriftlich – einverstanden ist. Dieses Dokument wird in unserem elektronischen Dokumentationssystem hinterlegt und muss dort auffindbar sein. Gäbe es dieses Dokument nicht, wäre dies ein Typ-C-Fehler. Über die Frequenz des Fehlertyps B und C gibt es weltweit nur unzureichende Zahlen. Über die Jahre haben wir diese Fehlertypen A bis C aber ausgewertet und können zeigen, dass wir uns – auch im internationalen Wettbewerb – erstklassig schlagen und durch verbesserte Instrumente der Fehlervermeidung die niedrige Fehlerquote, die wir erreicht haben, weiter nach unten treiben und halten können. Für den Patienten ist es dabei selbstverständlich wichtig, unsere Bemühungen und Zielsetzungen zu kennen.

CL: Sie, Frau Prof. Engelhardt, gehen davon aus, dass die Individualverantwortung, die in den vergangenen 300 Jahren, in denen wir naturwissenschaftliche Medizin betreiben, auf den Patienten fokussiert war, dass sie durch Systeme, Verfahren, Instrumente, Daten begleitend gesichert werden können. Wir haben also ein Zusammenspiel zwischen der Individualverantwortung der handelnden Personen und den Systemen, die jetzt langsam Schritt für Schritt auch durch die technologische IT-Entwicklung nach vorne gebracht wird. Existieren Widersprüche, gibt es Kongruenz? Wollen Sie lieber sagen, ich mache hier alles selbst und ich habe die letzte Endverantwortung? 

ME: Das ist eine gute Frage. Aber bei uns ist diese Herausforderung gut gelöst. Alle Beteiligten, wie zum Beispiel der Arzt, der die jeweilige Chemotherapie auswählt, die Kollegen und Pflegenden der Station, die die Chemotherapiemedikation bestellen und applizieren und der Patient, der die Chemotherapie erhält, werden durch unser Chemotherapie-Management-System enorm entlastet. Sie wissen, dass sich ein hochprofessionelles Team hauptamtlich darum kümmert, dass die ausgewählte Therapie sicher beim Patienten ankommt. Dabei haben wir u.a. als technologische Entwicklung ein Chemotherapie-IT-Bestellprogramm entwickelt, das die Chemotherapiebestellung und Fehlervermeidung unterstützt und mit der Apothekendatenbank sowie elektronischen Patientenakte mittels Schnittstellen verbunden ist. Unsere Kenntnisse der Chemotherapiegabe, -applikation und Chemotherapieprotokolldarstellung publizieren wir u.a. in 2 Fachbüchern, dem „Roten Buch“ und „Blauen Buch“, in denen aktuelle Erkenntnisse aus Publikationen in unseren Chemotherapieprotokolle berücksichtigt werden und alles den aktuellen State-of-the-Art-Erkenntnissen entspricht.

CL: Eine der Ideen des Lohfert-Preises ist, dass der Mensch immer wieder in den Fokus gestellt wird. Nun sind weniger Fehler, die gemacht werden, natürlich für den Patienten gut, aber trotzdem reicht das ja nicht aus. Es gibt ein generelles kommunikatives Problem: Die Gespräche und Kommunikation mit den Angehörigen, die Kommunikation des Personals untereinander. Wie bringen Sie den Patienten wirklich in den Mittelpunkt? 

ME: Der Patient steht bei uns im dauernden Mittelpunkt. Das erkennt man, wenn man sich den gesamten Prozessablauf des ersten Gesprächs um eine bestmöglich geeignete Tumortherapie bis zur eigentlichen Medikamentengabe vergegenwärtigt: Zuerst stellt sich der Patient zur Therapie vor und wird über seine Krankheit und mögliche Therapien interdisziplinär informiert. Dann wird gemeinsam nach dem Prinzip des „Informed Consent“ darüber entschieden, ob und welche dieser Therapien durchgeführt werden soll. Dem Patienten wird das komplette Therapieprinzip, inklus. der Tumortherapie erklärt. Des Weiteren werden alle Fragen des Patienten und seiner Angehörigen beantwortet. Erst wenn sich der Patient, vor dem Hintergrund seines neuen Wissens, für die jeweilige Tumortherapie entscheidet und dieses schriftlich dokumentiert worden ist, läuft die eigentliche Therapie an. Unsere Patienten erhalten bei der eigentlichen Tumortherapiedurchführung – nach Bestellen dieser mittels unseres elektronischen Chemotherapiebestellsystems und Prüfen durch das Chemotherapiemanagement-System sowie der Klinikapotheke – ein sog. Kurvenblatt, anhand dessen jeder den ordnungsgemäßen Therapieablauf nachvollziehen und kontrollieren kann. Die mittels 4-Augenprinzip geprüfte Chemotherapie kommt dabei aus der Klinikapotheke. Dieser Ablauf beruhigt nicht nur den Arzt und das Pflegepersonal, sondern vor allem den Patienten ungemein. Unser Pflegepersonal besteht aus examinierten Pflegekräften, die speziell fortgebildet und damit autorisiert sind, Chemotherapien nach diesem „Freiburger System“ zu applizieren. Dieses „Freiburger System“ stärkt dabei ihre Kompetenz, Autonomie, die patienten-zentrierte Versorgung und hilft auch ihnen im sicheren Umgang mit den Medikamenten.

CL: Patientensicherheit ist mit dem Fehlergeschehen unmittelbar verbunden. Wie kommunizieren Sie das mit den Patienten? Patienten sind unterschiedlichen Typs, reagieren außerordentlich heterogen, das ist keine homogene Gruppe, sondern das sind hochdifferenzierte, in aller Regel auch äußerst empfindsame Menschen. Wie gehen Sie mit diesem Problem um?

ME: Ich kommuniziere dieses Chemotherapie-System mit unseren Patienten bewusst sehr offen. Es ist wichtig, dass der Patient weiß, dass wir immer bestrebt sind, Fehler zu detektieren, um sie zu vermeiden. Ich möchte dabei betonen, dass unser System so konzipiert ist, dass wir die wenigen Chemotherapiebestellfehler, die durchaus passieren können, trotz IT-System, Schnittstellen, bestmöglicher Ausbildung und interdisziplinärem Team, ausräumen, eben durch unser Chemotherapie-Management-System, inklus. Klinikapotheke, sodass wir mustergültig zeigen können, dass noch nicht einmal 4% Chemotherapiefehler Typ A, sondern nur noch 0.024% passieren. Das ist eine außerordentliche Fehlerreduktion von >99.9%. Der Patient versteht sehr gut, dass es günstiger ist, Fehler zu finden, um diese zu vermeiden, als diesen Versuch nicht zu unternehmen. Denn dann können Fehler nicht behoben werden.

CL: Eine Sache würde mich ganz besonders interessieren. Sie haben in unserem Vorgespräch kurz erwähnt, dass das Verfahren ausgerollt werden muss auf andere Einrichtungen. Denn nur in der Breite hat man die Wirksamkeit eines organisatorischen Verfahrens. Wie funktioniert das konkret?

ME: Das funktioniert konkret durch sogenannte „Comprehensive Cancer Center-Initiativen“ (CCC), die u.a. durch die Deutsche Krebshilfe großzügig gefördert werden und zu denen Freiburg als deutsches Spitzenzentrum auch gehört. Diese wünschen, dass der Umgang mit Chemotherapie und hochkomplexer, toxischer Medikation durch ein Qualitätssicherungssystem überwacht wird. Sie interessieren sich für die existierenden Strukturen in den Kliniken und Zentren und haben korrekterweise angeregt, dass unser System auch von anderen genutzt wird. Wir haben deshalb unser Management-System in anderen häufig Cemotherapie-applizierenden Fachabteilungen, wie der Gynäkologie, Gastroenterologie und im Neurozentrum der Universitätsklinik Freiburg etabliert; zudem wird in Kürze die Dermatologie und Strahlentherapie dazukommen. Ziel ist durch das System, zunächst alle Kliniken unseres CCCFs, die Chemotherapien in der Erwachsenenmedizin applizieren, abzudecken. Alle Beteiligten haben dabei erkannt, dass dieses System sinnvoll und wertvoll ist, wir den behandelnden Ärzten ihre therapeutische Freiheit lassen und uns nicht in deren Auswahl der Chemotherapie einmischen. Sie haben auch erkannt, dass wir im Sinne des Patienten unterstützend tätig sind, indem wir Fehler finden und vermeiden, bevor sie beim Patienten ankommen. Der nächste Schritt wird sein, dass auch andere Kliniken von unserem System profitieren.

CL: Wenn man sich die letzten 50 Jahre der onkologischen Betreuung ansieht, und sieht, wie die einzelnen Tumorentitäten davon profitiert haben, von dem Fortschritt – oder eben auch nicht. Dann hat man als Nicht-Mediziner das Gefühl: Irgendwo hakt es immer noch ganz gewaltig: Organisatorisch, kommunikativ, vor allem aber auch prozessorientiert. Was machen wir nun eigentlich? Auf der Skala von 1 (schlecht) bis 10 (gut): Wo befinden wir uns heute hier in Ihrem Projekt?

ME: Sie kennen ja den Gender-Bias: Frauen haben oft Schwierigkeiten, sich selbst zu loben. Ich habe das heute nicht: Ich glaube, wir sind schon fast bei 10. Aber ich sage trotzdem 9, weil es für das Erreichen einer 10 noch wichtig ist, unser System weiter zu verbreiten.

CL: Eine allerletzte Frage, ein bisschen provozierend und auch nicht ganz ernst gemeint. Wann brauchen wir die Onkologie überhaupt nicht mehr?

ME: Ich glaube, die brauchen wir immer mehr. Vor allem vor dem Hintergrund, dass wir immer älter werden, ist es wichtig zu wissen, dass wir Tumorerkrankungen häufiger sehen, da deren Frequenz mit zunehmendem Alter steigt. Das liegt u.a. daran, dass sich Körperzellen im Laufe der Zeit verändern und z.B. genetische Veränderungen auftreten, die ein Tumorwachstum hervorrufen können. Das Gute ist aber, dass die Möglichkeiten der Krebsmedizin immer besser werden, d.h. wir heute auch ältere Patienten gut behandeln können. Zudem können wir mehr machen, als nur eine Therapie. Durch diese Entwicklung werden allerdings auch die „Super-Experten“, z.B. an Unikliniken, notwendig und natürlich auch jemand wie Sie, der Innovationen in der Krebstherapie sehr fördert. Ich verstehe Ihre Förderung als Ansporn, den Einsatz fortzusetzen, den wir täglich betreiben, uns für Tumorpatienten enorm zu engagieren sowie die Möglichkeiten der modernen Krebstherapie immer weiter zu verbessern.

CL: Das Krebsproblem wird uns nicht verlassen. Ich darf mich sehr herzlich für das Gespräch bedanken, Frau Prof. Engelhardt. Sie sind herzlich in Hamburg willkommen und wir werden eine – ich denke würdige – Preisverleihung gestalten, unter der Schirmherrschaft der Senatorin.

ME: Darauf freue ich mich sehr.

Ausschreibung für den Lohfert-Preis 2018

Thema: Kulturwandel im Krankenhaus - Multidimensionale Konzepte zur Verbesserung der (Patienten-)Sicherheitskultur.

Bewerbungsschluss ist am 28. Februar 2018.

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