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Haben wir wirklich zu wenig Fachkräfte – oder wo liegt das Problem? Ein E-Mail-Interview über die Notwendigkeit zur Ambulantisierung, Chancen der Krankenhausreform und über den Datenschutz

20. Dezember 2023

Lohfert-Preis

Eines der drängendsten Themen im Gesundheitswesen ist die Personalausstattung. Daher suchen wir mit dem Lohfert-Preis 2024 beispielhafte Lösungen zur Entwicklung und Stärkung des Gesundheitspersonals, zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Steigerung der Attraktivität des Berufsfeldes. Neben konkreten Maßnahmen möchten wir aber auch den Blick auf die strukturelle Seite des Themas öffnen. Dazu haben wir per E-Mail Prof. Dr. med. Jochen Schmitt, MPH, Professor für Sozialmedizin und Versorgungsforschung an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden und seit 2023 Mitglied im Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege des Bundesministeriums für Gesundheit, befragt:
Prof. Dr. Jochen Schmitt, MPH, Direktor des Zentrums für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden, und u.a. seit 2023 Mitglied im Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege des BMG, (c) Medizinische Fakultät, TU Dresden
Prof. Dr. Jochen Schmitt, MPH, Direktor des Zentrums für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden, und u.a. seit 2023 Mitglied im Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege des BMG, (c) Medizinische Fakultät, TU Dresden
 
Herr Prof. Schmitt, das deutsche Gesundheitssystem ist laut OECD das teuerste in der EU und hat pro Einwohner:in eine der höchsten Quoten an Krankenhausbetten, Ärzt:innen und Krankenpflegekräften. Haben wir wirklich zu wenig Fachkräfte – oder wo liegt das Problem?

Das Problem liegt in der Verteilung der Fachkräfte, ist also in erster Linie systembedingt. Pro Einwohner:in haben wir zwar überdurchschnittlich viele Fachkräfte in Deutschland, jedoch gibt es pro Patient:in vergleichsweise wenige Fachkräfte. Dies liegt zum einen an fehlenden Möglichkeiten für die genannten Berufsgruppen, sowohl angestellt als auch freiberuflich tätig zu sein (wie etwa Hebammen) und v.a. an stationären Überkapazitäten, was einfach Personal bindet. Wir haben in Deutschland einen hohen Nachholbedarf im Bereich der Ambulantisierung und erbringen noch viel zu häufig Versorgungsleistungen stationär, die in Nachbarländern ambulant erbracht werden. Dies führt zu hohen Kosten und ineffizientem Personaleinsatz.

Kann sich die geplante Krankenhausstrukturreform positiv auf Gewinnung und Bindung von Fachkräften auswirken? Was wäre darüber hinaus oder alternativ nötig?

Die Krankenhausreform hat ein hohes Potenzial zur Verbesserung der Fachkräftesituation im Gesundheitswesen:

Durch Reduktion von Fehlanreizen für stationäre Leistungsausweitungen, bessere Steuerung und Vernetzung und durch Ambulantisierung - etwa in Level 1i-Kliniken (1) - sind hier deutliche Effekte auf die Kosten, Qualität und die Fachkräftesituation möglich. Wichtig ist, dass alle Akteure endlich an einem Strang ziehen und die Politik eine mutige Reform umsetzt.

Fachkräftemangel wird in der Regel mit zu wenig Pflegepersonal in Zusammenhang gebracht, sowohl in der stationären als auch ambulanten Versorgung. Wie sieht die Situation in den anderen Berufsgruppen aus?

Ein großes Problem besteht auch im ambulanten Bereich, wo vielerorts medizinische Fachangestellte (MFA) fehlen - teilweise auch, weil im stationären Setting bessere Verdienstmöglichkeiten bestehen, so dass Fachkräfte von der Praxis in die Klinik wechseln. Auch bei Ärzt:innen gibt es, etwa in der Allgemeinmedizin, der Kinder- und Jugendmedizin und allgemein in der sprechenden Medizin einen klaren Fachkräftemangel.

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Die fortschreitende Digitalisierung, Automatisierung und auch die Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) sollen den Fachkräftemangel abmildern – wie schätzen Sie das Potenzial dafür ein und wo liegen die Herausforderungen auf dem Weg zum digitalisierten Gesundheitssystem?

Langfristig sehe ich hier ein sehr hohes Potenzial, aber das geht nicht von heute auf morgen und betrifft die unterschiedlichen Tätigkeiten in unterschiedlichem Maße. Empathie und Tätigkeiten, die Feinmotorik erfordern wie Waschen und Körperpflege kann KI und Robotik bisher nicht angemessen leisten. Das Hauptproblem ist aber der völlig überzogene Datenschutz in Deutschland und auch eine gewisse Technik- und Innovationsfeindlichkeit bei einigen Entscheidern und Akteuren.

Die Pläne der Bundesregierung sind jedoch ehrgeizig, und ich habe Hoffnung, dass wir hier im internationalen Bereich aufholen können.

Dresden/Hamburg, im Dezember 2023


Prof. Dr. med. Jochen Schmitt, MPH, ist Professor für Sozialmedizin und Versorgungsforschung an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden und dort seit 2012 Direktor des Zentrums für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV). Weiter ist er u.a. Geschäftsführender Vorstand des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung (DNVF) e.V., seit 2022 Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung des Bundesministeriums für Gesundheit und seit 2023 Mitglied im Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege des BMG sowie im Ständigen Arbeitskreis "Versorgungsforschung" der Bundesärztekammer.


Anmerkungen

(1) "Level 1i-Krankenhäuser verbinden stationäre Leistungen der interdisziplinären Grundversorgung wohnortnah mit ambulanten fach- und hausärztlichen Leistungen.", aus dem FAQ des Bundesgesundheitsministeriums. Mehr Info hier: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenhaus/krankenhausreform/faq-krankenhausreform

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