Lohfert-Preis
Ziel des Projekts ist es, unerwünschte Arzneimittelwirkungen und damit im Zusammenhang stehende Risiken - vor allem Sturzereignisse, Gedächtnisstörungen und Organfunktionseinbußen - zu vermeiden. Mithilfe der vollständig digitalisierten Patientendokumentation werden täglich individuelle Patienten- und Medikationsreviews durchgeführt. Diese individuellen Medikationsreviews berücksichtigen - vor dem Hintergrund der Vorerkrankungen, Diagnosen, Operationen, tagesaktuellen Laborparameter und Vitaldaten eines Patienten/einer Patientin – sämtliche Fachinformationen aller Medikamente, die relevanten Leitlinien und Standard Operating Procedures (SOPs) sowie weitere aktuelle Recherchen. Die daraus entstehenden Problemerörterungen und Therapieempfehlungen werden unmittelbar an die betreuenden ärztlichen Kolleg:innen weitergegeben.
Das Foto zeigt die kritische Situation in Deutschland und weltweit: Patient:innen „stranden“ über die Notaufnahme in der Alterstraumatologie mit Frakturen nach einem Sturzereignis aufgrund von inakzeptablen medikamentösen Zusammenstellungen. Oder sie leiden unter schweren kognitiven Beeinträchtigungen bis zur Demenz oder Organfunktionseinbußen, Hirnblutungen etc., oft infolge unkontrollierter Medikationsverordnung verschiedenster Fachärzte. Wer übernimmt dafür die Verantwortung?
Zur Prävention von unerwünschten Ereignissen im Zusammenhang mit der Arzneimitteltherapie wurden am Universitätsklinikum Halle seit Beginn des Pharmakotherapie-Management Projektes bereits mehr als 54.500 individuelle Medikationsanalysen durchgeführt.
Nach der Auszeichnung mit dem Lohfert-Preis erhielt das Projekt große Aufmerksamkeit in Fachkreisen, in der Presse und gewann weitere Preise - so den Preis des Clubs der Gesundheitswirtschaft (cdgw) im Jahr 2021. Neben diversen Einladungen zu Vorträgen auf Fachkongressen war ich an der Erstellung des neuen, fünften Aktionsplans 2021 bis 2024 des Bundesministeriums für Gesundheit zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) in Deutschland beteiligt und bin als Mitglied des Delphi-Expertenboards zur Überarbeitung der PRISCUS-Liste 2.0 aktiv.
Des Weiteren erfolgte eine Zusammenfassung des im Projekt entwickelten digitalen Prozedere für eine sowohl 1.) transsektorale als auch 2.) interprofessionelle Weitergabe an die verschiedenen Gesundheitsfachberufe. Die 1:1-Übertragbarkeit erweitert den Einsatz flexibel für Patienten:innen aller Stationen über die klinikinterne digitale Patienten:innenakte.
Als Voraussetzung zur Weiterentwicklung des Projekts werden derzeit in verschiedenen wissenschaftlichen Arbeitsgruppen und fünf separaten Studien Daten zur Effektivität und Effizienz des Pharmakotherapie-Managements in internationalen wissenschaftlichen Journalen (s. Literatur) publiziert.
Anschließend soll der Ansatz auch auf den ambulanten Bereich erweitert werden, wofür jedoch die flächendeckende Verfügbarkeit der elektronischen Patientenakte eine Voraussetzung darstellt.
Außerdem müssen die Ärzteschaft, alle weiteren Gesundheitsfachberufe und Bürger:innen selbst bezüglich der Risiken einer unkontrollierten Polypharmazie sensibilisiert werden. Letztlich soll mithilfe eines digitalen Screening Tools nicht nur jede:r Gesundheitsfachberufsangehörige, sondern jede:r Bürger:in befähigt sein, die Gefahren frühestmöglich zu erkennen. Das große, bisher ungenutzte präventive Potential könnte somit gemeinsam, auf breiten Schultern verteilt, angegangen und genutzt werden. Das Projekt und die perspektivische Weiterentwicklung adressieren dabei weltweit vordergründig und dringlichste Anforderungen im Gesundheitswesen:
Es beweist damit auch erstmalig als präventiv hoch effizientes Modell die Machbarkeit und das Potential der dringend analog zu nutzenden ambulanten elektronischen Patientenakte.
Hamburg/Halle, im Juni 2022
Literatur
1 Drewas L, Ghadir H, Neef R, Delank KS, Wolf U. Individual Pharmacotherapy Management (IPM) - I: a group-matched retrospective controlled clinical study on prevention of complicating delirium in the elderly trauma patients and identification of associated factors. BMC Geriatr. 2022 Jan 6;22(1):29. doi: 10.1186/s12877-021-02630-y. PMID: 34991474; PMCID: PMC8740502.
Wolf U, Eckert S, Walter G, Wienke A, Bartel S, Plontke SK, Naumann C. Prevalence of oropharyngeal dysphagia in geriatric patients and real-life associations with diseases and drugs. Sci Rep. 2021 Nov 9;11(1):21955. doi: 10.1038/s41598-021-99858-w. PMID: 34754078; PMCID: PMC8578645.
Seit dem Jahr 2012 wird einmal jährlich der Lohfert-Preis ausgeschrieben. Ziel des mit 20.000 Euro dotierten Förderpreises ist die Verbesserung der Qualität und Patientenorientierung in der Gesundheitsversorgung. Das Ausschreibungsthema 2020 lautete: „Messbare Innovationen zur Verbesserung der Patientensicherheit“. Aufgrund der Sars-Cov.19-Pandemie fand im Jahr 2020 keine feierliche Preisverleihung statt. Die Ehrung des Projekts erfolgt am 20.09.2022 im Rahmen der Verleihung des Lohfert-Preises 2022 in Hamburg während des 17. Gesundheitswirtschaftskongresses - lesen Sie hier das vollständige Programm.
Copyright Fotos: Bertram Solcher für den Lohfert-Preis 2020 /Äußerungen unserer Gesprächspartner:innen geben deren eigene Auffassungen wider. Die Christoph Lohfert Stiftung macht sich Äußerungen ihrer Gesprächspartner:innen in Interviews und Beiträgen nicht zu eigen.