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App statt Zettelsammlung - ein E-Mail-Interview mit Dr. Thomas Elter über Diagnostik, Therapie und Nachsorge von Tumorerkrankungen

2. September 2021

Lohfert-Preis

„In der Medizin tut sich irre viel“, sagt Dr. Thomas Elter. Aktuell befinden sich circa 700 potentielle neue onkologische Therapeutika in der klinischen Prüfung. Eine Vielzahl neuer Behandlungsoptionen und Krebsmedikamente wurde bereits in die Versorgung implementiert und durchgreifende Änderungen in vielen Therapiestrategien sind absehbar. Wie können da die Behandelnden sicherstellen, dass sie immer die beste und wirksamste Therapieentscheidung treffen? Können durch Künstliche Intelligenz unterstützte automatisierte Entscheidungssysteme das nicht besser? Und: Wer kontrolliert die durch Software erteilten Empfehlungen?

Im Zuge der Prämierung des diesjährigen Lohfert-Preises hat die Jury der Christoph Lohfert Stiftung drei lobende Erwähnungen ausgesprochen, für Projekte, die ihrer Meinung nach besonders innovativ und vorbildlich wirken. Eines davon ist die als Medizinprodukt zertifizierte App „EasyOncology“. Sie wurde entwickelt von PD Dr. Thomas Elter, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie an der Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln und Geschäftsführer der Easy Medical Applications GmbH, Köln, und Dr. Heinz-Wilhelm Esser, ebenfalls Geschäftsführer der Easy Medical Applications GmbH.

EasyOncology stellt Empfehlungen zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge von über 20 soliden Tumorerkrankungen bereitstellt. Um die Qualität der Inhalte sicherzustellen, werden die Empfehlungen fortlaufend mit aktuellen und vergangenen Entscheidungen erfahrener Tumorboards aus zertifizierten Tumorkliniken abgeglichen und fortlaufend publiziert.Nach erfolgreicher Validierung der verwendeten Algorithmen ermöglicht die App inzwischen eine Qualitätskontrolle von Therapieentscheidungen, insbesondere von individuellen Fällen interdisziplinärer Tumorboards. Durch die hiermit gewonnene Möglichkeit einer direkten Vergleichbarkeit der Entscheidungsqualität von Kliniken, lässt sich diese damit im Sinne der betroffenen Patienten objektiv und transparent darstellen. In Folge wurde das derzeit in der Testphase laufende Projekt Board Support (Tumorboard-Software/Schnittstelle auf Basis der EasyOncology Algorithmen) entwickelt.

Dr. Thomas Elter, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, Klinik I für Innere Medizin der Uniklinik Köln
Dr. Thomas Elter, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, Klinik I für Innere Medizin der Uniklinik Köln

 

Wir haben den Projektleiter Dr. Thomas Elter per E-Mail befragt.

Herr Dr. Elter: Sie sagen, dass bisher keine standardisierte Art der Erhebung über die Qualität von Tumorboardentscheidungen existiert. Wie sicher sind eigentlich Therapieentscheidungen in der modernen Krebsmedizin? Beziehungsweise: Wie entstand die Idee zu EasyOncology?

Den letzten Teil der Frage möchte ich zuerst beantworten. Die Idee zu EasyOncology entstand durch meine Überforderung, die ich nach dem Wechsel aus der stationären Versorgung von hauptsächlich Leukämie- und Lymphompatienten in die ambulante Regelversorgung unserer Klinik erleben musste. Hier hatte ich plötzlich ein volles Wartezimmer mit den häufigen Erkrankungen wie Lungen- oder Darmkrebs, deren Behandlungskonzepte mir neu waren.
Also benötigte ich eine schnelle und zuverlässige Quelle, die mir die nächsten Schritte in Diagnostik und Therapie nennt. Und anstelle einer Zettelsammlung entstand so vor mehr als acht Jahren mit Hilfe vieler erfahrener Kollegen aus allen Fachbereichen die APP „EasyOncology“.

Zur Qualitätssicherung von Tumorboards gibt es natürlich viele Bestrebungen, wobei derzeit vorwiegend strukturelle Vorgaben zur Qualitätssicherung dienen. Dies beinhaltet zum Beispiel Interdisziplinarität der Teilnehmenden, die Vorstellung aller Patient:innen vor Therapie und die Weiterleitung spezifischer Daten an DKG (Deutsche Krankenhausgesellschaft, Anm.d.R.) zur Zertifizierung als Tumorzentrum. Die Qualität der eigentlichen Entscheidungen wird aber nicht geprüft und ist somit von der Expertise der Tumorboard-Teilnehmenden abhängig.

Dass die notwendige Fachexpertise erheblich schwanken kann, wird niemanden überraschen und erklärt Auswertungen von Registerdaten aus mehreren Ländern, die Abweichungen vom optimalen Standard bei über 30 Prozent der betrachteten Boards feststellten. Es konnte bislang nie gezeigt werden, dass ein Tumorboard ein unabhängiger Qualitätsindikator für eine Verbesserung des Outcomes der hier besprochenen Patienten wäre.

Ihre App unterstützt Ärzt:innen bei der Behandlung von Krebserkrankungen auf dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Evidenz (leitliniengerecht): Wie stellen Sie sicher, dass alle Informationen auf dem neusten Stand sind (Diagnostik, Tumortherapeutika etc.)? Wie hoch ist der Rechercheaufwand und wie geht die relevante Evidenz in die App ein?

EasyOncology fokussiert sich auf die Empfehlungen zur Erstlinientherapie und Basis aller Informationen sind die Empfehlungen der S3-Leitlinien. Da diese meist bei Veröffentlichung schon wieder veraltet sind, betrachten wir zudem den Zulassungsstatus neuer Therapeutika und die best-clinical-practice erfahrener Zentren in ganz Deutschland. Das funktioniert nur mit Unterstützung vieler motivierter Kolleg:innen und wir sehen EasyOncology als Plattform für onkologisch tätige Ärztinnen und Ärzte; jede:r kann als Co-Autor:in aktiv werden. Motivation alleine reicht aber nicht, deswegen führen wir seit Jahren den Abgleich mit realen Entscheidungen erfahrener Tumorboards durch.

Sie haben neben der EasyOncology App auch das System „Board Support“ für die Tumorboards der Kliniken herausgebracht, um Ärztinnen und Ärzten eine zeitliche Entlastung zu ermöglichen. Darüber hinaus haben Sie den „onqo“ für Patient:innen entwickelt. Wie wollen Sie den Ärzt:innen Zeit sparen? Und wie soll onqo Betroffenen helfen?

Board Support adressiert das Problem der in vielen Kliniken durch „Standardfälle“ überfrachteten Tumorboards, da nach Vorgabe der DKG zur Zertifizierung als Tumorzentrum 100 Prozent aller Fälle vorgestellt werden müssen. Wie gesagt, es gibt bislang keinen ausreichend gesicherten Beleg, dass die Fallbesprechung in Tumorboards zu besseren Überlebensraten in der Tumortherapie führen. Daran dürfte sich durch eine hohe quantitative Belastung der Boards sicherlich nichts ändern.

Board Support generiert automatisiert validierte Therapieempfehlung für "Standardfälle" in der Erstlinientherapie. Nach Konsentierung der generierten Empfehlungen vor Beginn des Tumorboards soll die Gesamtzahl der zu besprechenden Fälle gesenkt und somit eine zeitliche Entlastung generiert werden. Dies ermöglicht den teilnehmenden Spezialist:innen, die wertvolle ärztliche Expertise für komplexere Fälle nutzen zu können. Mit unseren Partnern haben wir das Ziel, letztendlich die gleichzeitige Erteilung von Therapieempfehlungen und Zertifizierung nach DKG-Standard zu ermöglichen.

Und nun zum letzten Punkt Ihrer Frage: Die App „onqo“ begleitet Patient:innen mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC) während ihrer Therapie und bietet eine zusätzliche digitale Zweitaufklärung, sensibilisiert für die Kriterien einer leitlinienadhärenten Behandlung, bereitet Arztgespräche insbesondere bei erkannten Leitlinienabweichungen vor und hilft bei der Überwachung der Krebsnachsorge. Neben der Stärkung der Patientenkompetenz zielt die Anwendung auf eine Verbesserung der Überlebensrate durch Umsetzung Leitlinien-gerechter Therapien.

Köln, Hamburg, im September 2021


Sie haben Interesse an weiteren Informationen? Schreiben Sie an feedback@easyoncology.info

EasyOncology ist für iOs undAndroid erhältlich und funktioniert nach dem Download offline, d.h. auch in den abgeschirmten Bereichen einer Klinik wie Radiologie oder Strahlentherapie, im Flugmodus auf der Intensivstation oder wo auch immer keine Internetverbindung möglich ist.


Copyright Foto Dr. Thomas Elter: Easy Medical Applications GmbH / Headerbild: Bertram Solcher

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