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Für die Patienten kann sich die Patientensouveränität verbessern, indem sie sich durch die durchgängige Einsichtnahme in ihre Befunde ein eigenes Bild machen können, sich gezielter und besser informieren können und so auch besser vorbereitet zum Arztbesuch erscheinen können. So wird auch das „Shared Decision Making“ erst wirklich möglich. Daneben kann die Zusammenarbeit mit ihren Ärzten verbessert werden, z.B. in dem ihre indikationsspezifische digitale Selbstdokumentation (z.B. Schmerztagebuch, Blutzuckertagebuch usw.) bruchlos als integrierter Teil ihrer Patientenakte möglich ist bis hin zu einem Telemonitoring für Patienten mit einer bestimmten Erkrankung.
Mit einer aussagekräftigen Akte im Hintergrund können viele chronisch Kranke beruhigter in den Urlaub fahren, denn sie wissen, dass – sollte etwas Unvorhergesehenes geschehen – jeder Arzt, den sie aufsuchen, sich schnell einen soliden Überblick zu ihrer Situation verschaffen kann.
Es gibt natürlich auch die Gefahr, dass Patienten in vielerlei Hinsicht überfordert werden und damit mehr Unsicherheit und Ängste entstehen. Auch durch unübersichtliche Lösungen kann dies der Fall sein. Noch schlimmer und ethisch verwerflich wird es, wenn man EPAs dann dazu nutzt, Patienten die gesamte Verantwortung für ihr Versorgungsmanagement zuzuweisen („Hier hast Du Deine Akte, nun mach mal ….“).
Dies sind natürlich in der Kürze nur einige Schlaglichter auf die Chancen und Risiken.
Nein – auf keinen Fall. Ich muss vorausschicken, dass es „den Patienten“ nicht gibt, man muss das immer indikationsbezogen angehen und die häufigsten und komplexesten Indikationen in den Blick nehmen, bei denen eine ePA mit Einbezug der Betroffenen einen Wertbeitrag leisten kann. Das ganze eGK-Projekt (elektronische Gesundheitskarte, Anm. d.Red.) und die nationalen Aktivitäten zu eHealth – also auch zu ePA - sind rein Leistungserbringer-orientiert. Fokus-Gruppen mit Patienten bestimmter Indikationen und die Einbeziehung führender Selbsthilfe-Organisationen gab es bisher nicht.
Viele junge gesunde Techniker und Politiker reden heute viel „über den Patienten“ und was er so will, kennen die Spezies aber gar nicht.
Gute Lösungen erfordern gutes Requirements Engineering (Anforderungsmanagement, Anm.d.R.), das sehe ich derzeit nicht. Und zu glauben, dass Patienten beglückt sind, in Unmengen ihrer Behandlungsdokumente in ordnerbasierten Dokumentenakten „herumzusurfen“, um dann Dokumente zu lesen, die in einer für sie fremden unverständlichen Sprache verfasst sind, halte ich für naiv. Man wird also das ungute Gefühl nicht los, dass das alles etwas in die falsche Richtung läuft.
Ja und Nein, dazu kann man keine generelle Aussage treffen. Wie ich schon in meiner ePA-Expertise schrieb:
„Ein Patient wird also nicht souverän im Umgang mit seiner Gesundheit, nur, weil er plötzlich über diese Daten verfügt, sondern wenn er an und für sich intrinsisch motiviert souverän mit seiner Gesundheit / Krankheit und den damit verbundenen äußeren Rahmenbedingungen und Notwendigkeiten umgehen kann. Denkt man diesen Gedanken zu Ende, wird eine ePA nicht automatisch zu mehr Patientensouveränität und -autonomie führen, sondern nur für jene, die auch schon ohne deren Einsatz ein gewisses Maß davon hatten und mit dem digitalen Werkzeug besser werden (wollen). Für alle anderen kann es Anreiz sein, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, wenngleich die lange kulturelle Prägung im deutschen Gesundheitssystem mit seiner Vollversicherung bei vielen eher die Haltung verfestigt hat, dass im Defektfalle das Gesundheitssystem die Reparatur ohne großes weiteres eigenes Zutun übernehmen muss. Die Chancen eines digitalen Gesundheitswesens und des Einsatzes von ePA-Systemen auch direkt für den Patienten können daher in Gänze nur auf Basis eines generellen Umdenkens und mehr Patientenausbildung realisiert werden.“
Berlin/Hamburg, 08.04.2019
Äußerungen unserer Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen geben deren eigene Auffassungen wider. Die Christoph Lohfert Stiftung macht sich deren Äußerungen in Interviews und Beiträgen nicht zu eigen.