Voraussetzung ist ein klinikinternes Dokumentationsprogramm, in das alle diagnostischen Materialen eingespielt werden. In dieser digitalen Patientenakte und -dokumentation können die aktuellen Medikamente, Diagnosen, sämtliche Labor- sowie Vitalparameter und Verlaufsdokumentationen der Kollegen eingesehen werden. Ohne die digitalen Daten wäre das Pharmakotherapie-Management in dem praktizierten Umfang nicht möglich.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit spielt große Rolle für den Erfolg
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Kollegen spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle für den Erfolg dieses Ansatzes. Das persönliche Miteinander auf Augenhöhe ist eine wichtige Voraussetzung, wenn es gilt, schnell eine Medikation anzupassen oder zu verändern. Nicht zuletzt ist auch die Wirtschaftlichkeit eine Stärke. Hier geht sie nicht auf die Kosten der Patienten, im Gegenteil: Wir haben trotz steigender Belegungsfallzahl eine Kostenreduktion bei den Arzneimitteln und gleichzeitig einen Rückgang schwergradiger Krankheitsverläufe.
Ja, auf jeden Fall. Als ich in der Pharmakologie am UK Halle angefangen und in der Alterstraumatologie Visiten gemacht habe, sind mir Algorithmen aufgefallen: Durch bestimmte Veränderungen kann man ganz herkömmliche Strategien verbessern. Ich habe deshalb mein interprofessionelles Projekt SAPREMO, mit großer Resonanz, im ambulanten Sektor gestartet. Ein Beispiel: Es gibt alte Menschen, die nehmen Betablocker mit Wechselwirkungen. Es gibt aber auch Betablocker ohne solche Wechselwirkungen. Wenn man diese umstellt, hat man schon ein großes Problem gelöst.
Pharmakotherapie-Management müsste schon in den Pflegeheimen und vorher beginnen
Auf der Basis von ASTRA lässt sich sagen, dass das Pharmakotherapie-Management eigentlich schon in den Pflegeheimen und vorher in der Häuslichkeit erfolgen müsste. Die positive Folge: Die älteren Menschen kommen gar nicht erst als unfallchirurgische Patienten mit Frakturen zu uns. Zwei meiner Doktoranden zeigen in ihrer Arbeit, dass durch Algorithmen in der Alterstraumatologie das hyperaktive Delir oder die Sturzereignisse reduziert werden können, nachgewiesen im klinischen Bereich.
Denn meistens bleibt es nicht bei der Fraktur; dann kommt die Reha, dann die Frage, ob der Patient wieder nach Hause kann. Es ist oft die ganze Familie involviert. Und wenn man dann anhand der Medikationen sieht, man hätte es verhindern können, und das ist nicht selten der Fall, wäre es wünschenswert, das Pharmakotherapie-Management würde bereits dort und früher stattfinden.
Wegen der ausgeprägten Probleme mit der Polypharmazie müsste aus meiner Sicht über die Einrichtung eines Beauftragten für Arzneimitteltherapiesicherheit diskutiert werden – zumindest in jedem größeren Haus. Dessen Rolle wäre ähnlich der eines Hygienebeauftragten, den es seit dem Auftreten der Multiresistenzen gibt. Gezielt und umfassend ausgebildete interessierte Ärzte und Pharmazeuten könnten diese Aufgabe z.B. als Zusatzqualifikation übernehmen.
Um möglichst vielen Menschen zu helfen, möchte ich eine Onlineplattform für verständliche Bürgeraufklärung zur Prävention erstellen, auf der sich nicht nur der Arzt, sondern auch der Patient und seine Angehörigen, Pflegeberufsangehörige und Pharmazeuten informieren können: Was passiert mit diesen und jenen Medikamenten in der und der Konstellation? Es ist mir ein Herzensanliegen, dieses zweite SAPREMO-Projekt, also die Aufklärung und Information betroffener Bürger – über alle Sektoren hinaus – voranzubringen. Nur wenn alle – Patient, Krankenhaus und ambulanter Bereich – zusammenarbeiten, lassen sich Neben- und Wechselwirkungen reduzieren.
Hamburg/ Halle an der Saale, im Juni 2020
Foto Dr. med. Ursula Wolf: © Bertram Solcher