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Dr. Christoph Lohfert im Gespräch mit Prof. Dr. Konrad Reinhart über das Projekt „MEDUSA“ und den Lohfert-Preis 2015

Herr Prof. Reinhart, was sind die wesentlichen Unterschiede, die bei MEDUSA erzielt werden im Vergleich zu den in anderen Hochschulkliniken durchgeführten Sepsis-Behandlungen?

Die Frage trifft den Kern der MEDUSA-Studie nicht ganz, weil es primär nicht darum geht, die Behandlung zu verändern. Wir wollen mit den Kollegen Möglichkeiten erarbeiten, die richtige Behandlung in einem hohen Maß durchzuführen. Dies wollen wir so schnell wie möglich erreichen, um die Möglichkeiten des Patienten zu optimieren, damit er die Erkrankung überlebt.

Was sind die größten Fehler, die dabei passieren können?

Sicherlich liegt die größte Schwierigkeit und damit auch das größte Problem darin, dass die Sepsis als Erkrankung hochgradig dynamisch abläuft, relativ unscheinbar beginnt und wenn sie unbehandelt bleibt, im Zweifel zum Tode führt. Es gilt, möglichst früh, in diesem Prozess zu erkennen: „Hier haben wir es mit einer Sepsis zu tun“ und dann die richtige Therapie einzuleiten. Diese Therapie ist nicht so komplex, dass sie nicht beherrscht werden könnte. Der Schlüssel ist, und darauf ist die MEDUSA-Studie fokussiert, dem Patienten die Therapie frühzeitig zukommen zu lassen. Der häufigste Fehler ist, die Fehleinschätzung der Sepsis als hochgradig dynamischem Prozess. In der Regel sind Antibiotika keine Notfallmedikamente. Antibiotika gibt man, um Infektionen zu behandeln, aber in dem Moment, in dem ich die Erstbehandlung eines septischen Schocks durchführe, wird ein Antibiotikum zu einem Notfallmedikament. Es darf keine Verzögerung des Behandlungsbeginns geben. Dieser gedankliche Schritt, zu erkennen, dass es sich um eine akute Notfallsituation handelt, und dass jetzt ein Medikament nötig ist, welches sonst kein Notfallmedikament im eigentlichen Sinne ist, ist sehr fehleranfällig.

Das heißt, diese „Fehler“ erkennt man, aber man muss diese Fehler, die einen Zeitverlust bedeuten auch kommunizieren, mit den Mitarbeitern, mit den Patienten, möglicherweise mit den Angehörigen. Das setzt eine besondere kommunikative Intelligenz voraus. Wie prägen Sie das, wie schulen Sie das?

Vielleicht ist es wichtig zu erwähnen, dass es nicht nur darum geht, die Intensivmediziner in Krankenhäusern für die Erkennung von Frühstadien der Sepsis zu sensibilisieren, sondern damit beim niedergelassenen Arzt zu beginnen. 50 % der Sepsisfälle entwickeln sich außerhalb des Krankenhauses. Es geht um Schulung in diesem Bereich, in den notfallmedizinischen Bereichen, Schulung bei den Schwestern auf den Normalstationen, Schulung derjenigen, die den Patienten im OP erstversorgen und natürlich auch Schulung auf den Intensivstationen.

Herr Prof. Reinhart, Sie haben eben erwähnt, dass es auch um Änderung der Schulung der geschulten Mitarbeiter gehen muss, also um Einfluss auf die Verhaltensmuster von Menschen. Wie prägen Sie das Bewusstsein in diese Richtung neu?

Es muss anfangen in den Curricula bei der Ausbildung von Medizinstudenten. Es muss Eingang finden, in die Ausbildung des Pflegepersonals und es muss eine Laienaufklärung über schwere Infektionen und Sepsis geben, ähnlich der vorbildlichen Laienaufklärung zum Thema Prävention von HIV und AIDS. Jeder Bürger muss wissen, dass er sich, sollte er zu einer Risikogruppe gehören, gegen Grippe und Pneumokokken impfen lassen sollte. Auch andere Möglichkeiten in den Krankenhäusern müssen ausgeschöpft werden. 5 – 10 % der Fälle könnten verhindert werden, zum Beispiel durch die Verbesserung der Hygienemaßnahmen. Die Implementierung dieser Maßnahmen muss zu einem Standard in jedem Krankenhaus gehören. Das sind die wichtigsten Ansätze. Auch ein Laie muss erkennen können: Bei diesen und jenen Symptomen muss ich an eine Sepsis denken, eine Notaufnahme aufsuchen und schnellstens den optimalen Platz für eine Behandlung finden.

Die Standards von genormten Prozessen, die  Entwicklung von Patientenwegen durch das Krankenhaus, das ist nicht die große Stärke der Medizinorganisation, einer der Gründe, dass man sich heute so intensiv dem Sepsis-Problem widmen muss. Hat man da einige Jahre lang die Dinge ein wenig„schleifen“ lassen?

Sepsis-Patienten hatten lange Zeit keine Lobby. Ich habe in meiner Ausbildung zum Arzt nichts von Sepsis gehört. Es gibt in Deutschland kaum eine Fachgesellschaft, die sich diesem Problem systematisch gewidmet hat. Daher haben wir im Jahr 2001 die Sepsisgesellschaft gegründet. Die Infektiologie ist in Deutschland schwach ausgeprägt. Hier gibt es im Vergleich zu anderen etablierten medizinischen Disziplinen einen großen Nachholbedarf.

Über welche Zahlen reden wir da, grob gesprochen? Wie viele betroffene Patienten Im stationären, also im Krankenhausbereich, sind zu erwähnen?  

Die letzten Zahlen, die wir im Jahr 2013 erhoben haben, sprechen von 250.000 Patienten mit einer Sepsis, von denen 75.000 verstorben sind. Wir brauchen einen nationalen Aktionsplan, wie ihn zwölf Fachgesellschaften, eine Reihe von Landesgesundheitsministern und wissenschaftliche Institute seit Jahren fordern. Sepsis muss zu einem der Qualitätsindikatoren für jedes Krankenhaus werden, wie es beispielsweise auch die Zahl operativer Eingriffe am Herzen oder anderer medizinischer Maßnahmen ist. In vielen Ländern sind solche Indikatoren inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden.

Ihre Klinik hat den Lohfert-Preis 2015 erhalten. Was haben Sie vor, mit dem Preisgeld zu machen?

Zum einen werden wir die Idee, die hinter der MEDUSA-Studie stand in einem nächsten Projekt „ICOSMOS“ (Quality Improvement in Infection Control and Sepsis Management in Model Regions) weiterführen, das ebenfalls vom BMBF gefördert wird und am Center for Sepsis Control and Care (CSCC) der Universität Jena angesiedelt ist. Ganz konkret haben wir uns überlegt, das Preisgeld einzusetzen, sodass eine Verstetigung, eine gewisse Individualisierung und eine organisatorische Anpassung möglich sind, im Sinne einer Toolbox, also einem Werkzeugkasten. Wir brauchen ein Instrumentarium – wir möchten Methoden und Instrumente so zur Verfügung stellen können, dass wir parallel in den Häusern arbeiten können, die bis jetzt noch nicht mit uns zusammengearbeitet haben. Im Idealfall gelingt es uns, ein Instrumentarium für Häuser zusammenzustellen, die Interesse daran haben, positive Entwicklungen in der Sepsisbehandlung voran zu treiben und damit ein häufigeres Überleben der Patienten zu erreichen.

Das Zusammenspiel zwischen hochschulmedizinischen Einrichtungen und anderen medizinischen Institutionen, z.B. anderen Krankenhäusern in der Region, ist nicht immer einfach. Was meinen Sie,  wenn Sie sagen, dass zweiundvierzig Krankenhäuser in Ihrem MEDUSA-Projekt eingebunden sind und gemeinsam eine Wirkung in der Region erzeugt werden soll.

Hoffentlich konstruktiv, aber vor allen Dingen offensiv. Im Rahmen des hiesigen Forschungsverbundes, des Centers for Sepsis Control and Care, ist die mitteldeutsche Sepsis-Allianz entstanden, die genau dieses Ziel verfolgt, nämlich das Einbinden regionaler Partner in drei Bundesländern. Mittlerweile sind es über 50 Partner in 5 Bundesländern geworden: Kleine Krankenhäuser bis zum akademischen Maximalversorger, Reha-Kliniken, Interessenverbände, Krankenhausgesellschaften. Wir bearbeiten in verschiedenen Arbeitsgruppen genau diese interessanten Aspekte. Also zum Beispiel, wie man die Zusammenarbeit verbessern- und wie man Schnittstellen optimieren kann. Es geht letztlich immer wieder auf das Thema Kommunikation zurück. Diese zweiundvierzig Krankenhäuser haben sich, per Vertrag, mit dem Universitätsklinikum Jena zu qualitätsverbessernden Maßnahmen im Bereich der Sepsis verpflichtet.

Wichtig wäre noch, dass wir die Frage stellen, wie gelingt es Ihnen, wirklich den Menschen, den kranken Menschen in den Mittelpunkt zu rücken?

Das kann man recht einfach beantworten: Es geht hier um Leitlinien. Leitlinien sollen dafür sorgen, dass der Patient die optimale Therapie bekommt, die für sein jeweiliges Krankheitsbild wissenschaftlich erarbeitet wurden. Es ist schon komplex, solche Leitlinien zu erstellen, aber es ist eigentlich nur Papier. Ob sie beim Patienten ankommen, ist eine ganz andere Frage. Wir wissen aus Erfahrung und nicht zuletzt auch aus MEDUSA, dass nur Bruchstücke dieser Leitlinien den Patienten tatsächlich erreichen. Durch Initiativen, wie MEDUSA, wird es möglich, dass die durch Leitlinien empfohlenen Vorgehensweisen und Therapien tatsächlich am Patienten umgesetzt werden.

Der Arzt ist am Patienten, wenn er seine Entscheidungen trifft, frei. Er kann nur begrenzt durch Leitlinien geführt werden, weil die Situation möglicherweise jedes Mal andere Rahmenbedingungen setzt. Trotzdem müssen Sie die Organisation so im Griff haben, dass sie keine „Entgleisung“ zulässt. Sie haben es also damit zu tun, Fehler zu vermeiden. Damit sind wir bei der Frage, wie misst man diese Fehler, wie kann man Mess-Systeme entwickeln, mit denen man falsche Handlungen im Rahmen einer Betreuung von Sepsis-kranken Patienten verhindern kann?

Leider ist es bei der Sepsis so, dass ein Messparameter das Sterben des Patienten ist, also das, was wir verhindern wollen. Es ist möglich, die Einhaltung oder Anwendung von Leitlinien im Einzelnen zu messen. Die Bewertung, was ein Fehler ist, kann mitunter kompliziert sein. Das liegt daran, dass die Behandlung von Patienten nicht selten unter Studienbedingungen durchgeführt wird, oder die Entscheidung eines behandelnden Teams aus Akten, aus Gutachten und juristischen Auseinandersetzungen nachvollzogen werden muss, die vorliegenden Daten ein Nachvollziehen aber nur bedingt zulassen. Das System fehlerfrei zu machen, ist ein hoher Anspruch, er hat eine philosophische Komponente. Anders herum gesagt: Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Wo Menschen mit Menschen arbeiten, werden naturgemäß – erfahrungsgemäß – vermutlich noch mehr Fehler passieren. Ich glaube auch nicht, dass Fehler das Problem sind. Es gibt gute Untersuchungen, die beim Vorliegen bestimmter Krankheitsbilder untersucht haben, was Fehler für den Patienten tatsächlich bedeuten. In der Regel haben diese Untersuchungen gezeigt, dass der aufgetretene Fehler selbst, in seiner Bedeutung für den Patienten, deutlich hinter dem Umgang mit dem aufgetretenen Fehler zurücksteht. Und ich glaube, auch wenn das ein großes Wort ist, ich glaube, wir brauchen eine Fehlerkultur. Wenn man sich also diesem Fehler konstruktiv nähert, nicht danach sucht, wer was, wann falsch gemacht hat, sondern danach sucht, was schief gelaufen ist und wie man dies in Zukunft verhindern kann, nähert man sich durch Kommunikation dem Ideal der Fehlerlosigkeit. Es ist eine Hoffnung, dass dieses Arbeiten am Patienten, mit dem Patienten, im Zusammenspiel und Dialog mit dem Patienten, intensiviert wird. Dies ist unerlässlich.

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