In vielen medizinischen Situationen stehen gehörlose Personen vor massiven Barrieren und sehen sich einem wesentlich höheren Risiko für Behandlungsfehler, Medikationsfehler und vermeidbare Missverständnisse ausgesetzt.
Das Projekt „Auf Augenhöhe - Patient:innenbegleitung in Gebärdensprache“ startete im Januar 2021 im Landesklinikum Wiener Neustadt. Eine Mitarbeiterin mit zehnjähriger Gebärdenspracherfahrung wurde als Gehörlosenansprechperson eingesetzt. Diese richtete eine Anlaufstelle ein, um in den speziellen Herausforderungen zu unterstützen.
Ziel ist es, gehörlose Personen patient:innengerecht aufzuklären und als mündiges Gegenüber zu behandeln. Dadurch wird deren Sicherheit gesteigert und das Treffen eigenständiger Entscheidungen in der gesundheitlichen Versorgung ermöglicht.
Schrittweise fördert dieses Projekt schlussendlich die Selbstbestimmung gehörloser Menschen im Gesundheitssystem. Denn selbstbestimmt kann nur sein, wer Kommunikation und Information der Situation verstehen kann. Zentrales Thema ist hier die Vermeidung von Fehlbehandlungen und -diagnosen durch angepasste Kommunikation und die Sicherstellung des Informationsflusses zu und von gehörlosen/schwerhörigen Patient:innen.
Hierfür kamen zahlreiche Maßnahmen zur Umsetzung. In Zusammenarbeit mit gehörlosen Personen wurden Barrieren analysiert und Lösungen erarbeitet. Zur Sicherstellung der erfolgreichen Kommunikation begleitete die Gehörlosenansprechperson Patient:innen. Weiters wurde unter anderem die Kontaktaufnahme via Videotelefonie ermöglicht. Durch die Bereitstellung von Know-how und die gezielte Schulung des Personals in der erfolgreichen Kommunikation ist auch die psychosoziale Betreuung gehörloser Patient:innen und deren Angehörigen möglich.
Im gebärdensprachlichen Dialog konnten Risiken wie etwa Allergieanamnese und bestehende Vorerkrankungen, welche durch die Sprachbarriere nicht erhebbar waren, geklärt werden. Durch die Übersetzung von Aufklärungsgesprächen willigten Patient:innen zu Untersuchungen und Behandlungen ein, die sie davor abgelehnt hatten. Medikamenteneinnahmefehler konnten aufgedeckt, ein Patient, der kürzlich seine Enkelin verloren hatte, psychosozial begleitet werden. Auch Schulungen zum Thema Verhalten im Alltag nach einer Bandscheibenoperation und der richtige Umgang mit Insulin bei frischdiagnostizierten Diabetikern sind nun barrierefrei möglich.
Headerfoto: Bertram Solcher für den Lohfert-Preis 2021