Chronische Ohrgeräusche können zu Sekundärsymptomen wie innere Unruhe, muskuläre Verspannungen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Depressionen, Angststörungen bis hin zu Suizidalität führen. Ein HNO-Facharzt ist mit einer komplexen Erkrankung konfrontiert, für die er nach aktuellem Stand der Wissenschaft keine medizinische Behandlung anbieten kann, welche zur Heilung führt. Dies ist sowohl für die HNO-Ärzte als auch für die Patienten eine sehr unzufrieden stellende Situation. Um die Behandlung dieser Patienten zu optimieren, sollte in unserer HNO-Klinik ein interdisziplinäres Diagnostik- und Therapiekonzept für Patienten mit Tinnitus entwickelt und vor Ort umgesetzt werden.
Deswegen eröffneten wir im Jahr 2013 das Tinnitus-Zentrum Jena, in dem HNO-Ärzte, Psychotherapeuten, Ärzte für Physikalische Therapie, Physiotherapeuten und Hörgeräteakustiker zusammenarbeiten. Die neu eingeführte interdisziplinäre Tinnitus-Diagnostik ermöglicht eine Triage der Patienten mit Indikationsstellung für ambulante, (teil)stationäre und rehabilitative Behandlung. Die Patienten mit einem chronisch-komplexen Tinnitus werden in unserer Tinnitus-Tagesklinik behandelt. Die Therapie dauert sieben Tage und umfasst folgende Module: HNO-ärztliches Couseling, tinnitusspezifische kognitive Verhaltenstherapie, Physiotherapie und Hörtherapie. Die Therapiekosten werden von gesetzlichen Krankenkassen übernommen.
Seit der Eröffnung bis Ende 2020 wurden im Tinnitus-Zentrum etwa 4.500 Tinnitus-Patienten diagnostisch abgeklärt, davon absolvierten 1.256 Patienten die tagesklinische Behandlung. Die Forschungsergebnisse zeigen eine klinisch signifikante Reduktion der Tinnitus-Belastung durch die Therapie, welche auch sechs Monate nach dem Therapieende stabil bleibt. Auch die Entspannungsfähigkeit und Lebensqualität wurden nach Angaben der Patienten durch die Therapie signifikant verbessert. Die Patienten geben große Zufriedenheit mit der Behandlung an, aber auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter unserer HNO-Poliklinik ist gestiegen, da sie jetzt sowohl Ansprechpartner aus anderen Disziplinen vor Ort haben als auch, weil sie den Patienten aufgrund von klaren Triage-Kriterien ein individuelles Therapieangebot machen können. Aktuell erarbeiten wir neue Therapieansätze für die Patienten, welche stark unter Tinnitus leiden und die Indikation für eine tagesklinische Behandlung erfüllen, aber aufgrund von einem rein somatischen Krankheitsmodell das Therapieziel „Gewöhnung“ nicht akzeptieren.