Das „Weddinger Modell“ ist ein Change-Projekt, das auf Grund von Unzufriedenheit mit tradierten Klinikstrukturen, welche eine symptomfokussierte, defizitäre Sichtweise bei der Behandlung von Patient*innen zugrunde legt, entstanden ist. Ziel des Konzeptes ist eine patientenzentrierte ressourcenorientierte Behandlung, die durch Behandlungskontinuität sowie einen flexiblen Wechsel von vollstationärer, teilstationärer und ambulanter Behandlung den individuellen Bedürfnissen von Patient*innen, gerecht zu werden versucht. Dabei spielt die konsequente Veränderung des therapeutischen Settings und der inneren Haltung der Mitarbeitenden in Richtung eines, transparenten, die Partizipation und Eigenverantwortung der Patient*innen fördernden Arbeitens eine zentrale Rolle. Top-down und Bottom-up wurden, über alle Hierarchien und Berufsgruppen hinweg, Prozesse zur Entwicklung, Umsetzung und Weiterentwicklung von neuen multiprofessionellen Arbeitsstrukturen etabliert.
Bereits während und kurz nach der Implementierung des „Weddinger Modell“ kam es zu einer spürbaren Abflachung von Hierarchien, einer Aufwertung der berufsspezifischen Expertisen sowie einer zunehmenden gemeinsamen Verantwortungsübernahme für die nun interprofessionell und trialogisch abgestimmten Behandlungsplanungen. Der beschriebene Prozess wurde von einer Forschungsgruppe im Rahmen einer naturalistischen quasi-experimentellen Studie wissenschaftlich begleitet. Auch hier konnte bereits kurz nach der Implementierung signifikante positive Veränderungen, z. B. in der Qualität der therapeutischen Bindung sowie im Bereich der Resilienz und Selbstwirksamkeitserwartung bei Patient*innen, nachgewiesen werden. Zudem reduzierte sich die krankheitsbedingte Liegedauer pro Patient*in pro Jahr erheblich, und es kam zu einer signifikanten Reduktion von Fixierungen und der Dauer von Isolierungen.
Die haltungs- sowie strukturbestimmenden Grundsätze des „Weddinger Modell“ im Sinne konsequenter Patientenorientierung und Interprofessionalität sind nicht nur für die Psychiatrie geeignet, sondern können in modifizierter Form, wie im St. Hedwig-Krankenhaus bereits im Prozess, auch auf die Somatik übertragen werden (z. B. Implementierung Primary Nursing System). Es führt nachweislich zu mehr Zufriedenheit bei Patient*innen, deren Angehörigen und den Mitarbeitenden und ist ein lernendes Konzept, welches aufzeigt, wie viel möglich ist, wenn man den Mut hat, eingefahrene Strukturen zu verlassen.